«Die Schnellen wollten am Skitag unbedingt mit mir fahren»

Die ehemalige Skirennfahrerin Denise Feierabend ist seit letztem Jahr Lehrerin und seit Kurzem Mutter. Obwohl sie den Einstieg in den Beruf happig fand, möchte sie bald zurück ins Schulzimmer. Sie ist froh, dass dies teilzeit möglich ist – ohne Mindestpensum.

Denise Feierabend ist seit einem Jahr Lehrerin. Foto: Gion Pfander

Sie haben im vergangenen Schuljahr als frisch diplomierte Lehrerin eine erste Klasse unterrichtet. Wie war's?

DENISE FEIERABEND: Rückblickend sehe ich, wie ein doch recht wilder Haufen Kinder allmählich zu einer Klasse zusammengewachsen ist. Mich beeindruckte, wie die Kinder zuerst einzelne Buchstaben lernten und am Ende des Schuljahres lesen konnten.

Kam Ihnen das eher wie ein kleines Wunder vor oder wie eine Bestätigung der eigenen Arbeit?

Als Einsteigerin konnte ich schlecht einschätzen, ob ich nun dort angekommen bin, wo ich gemäss Lehrplan sein sollte. Da halfen mir Rückmeldungen von Eltern von Kindern, die schon lesen konnten. Einige sagten, das sei dieses Mal rasch gegangen mit dem Lesenlernen. Entweder lag das nun am jeweiligen Kind oder vielleicht habe ich auch etwas gut gemacht.

Trotz Corona konnte Ihre Schule Skitage durchführen. Man hört, dass alle in Ihrer Gruppe mitfahren wollten. Wie kam das heraus?

Das stimmt tatsächlich. Die Schnellen wollten unbedingt mit mir fahren. Das ging dann leider nicht, weil bei einer anderen Gruppe eine Leiterin fehlte.

Als Goldmedaillengewinnerin stehen Sie hoch im Kurs.

(lacht) Ab und zu durfte ich sogar ein Autogramm geben. Das freute mich.

Erzählen Sie den Kindern ab und zu von Ihrer Zeit als aktive Skirennfahrerin?

Während der Olympischen Winterspiele schauten wir uns gemeinsam meine Fotoalben an. Sie konnten meine Medaille in die Hände nehmen und Fragen stellen.

Gibt es Eigenschaften, die Sie als Spitzensportlerin erworben haben, die im Schulzimmer von Nutzen sind?

Da gibt es diverse, etwa Selbstdisziplin oder der Umgang mit stressigen Situationen, in denen ich auf die Zähne beissen musste. Da denke ich ans Ende des ersten Semesters im Januar, als alles zusammenkam: Elternabend, Coronapandemie und ich war schwanger …

Gibt es Eigenschaften aus Ihrer Zeit als Skiprofi, die weniger passen?

Ich bin sehr ehrgeizig. Da musste ich lernen, meine Ansprüche nicht auf die einzelnen Kinder zu projizieren. Wichtig ist Leidenschaft, der spielerische Umgang mit Sachthemen. Tatsächlich meldeten mir die Kinder auch zurück, dass sie genau solche Sachen schätzen; etwa meine Bewegungspause. Dort baue ich zum Lockern nach konzentrierter Arbeit kleine Übungen aus meiner sportlichen Vergangenheit ein.

Kein anderes Studium hat einen so hohen praktischen Anteil. Das finde ich gut.

 

Wann fassten Sie den Plan, Lehrerin zu werden?

Ich schnupperte schon während der Sekundarschule an einem Kindergarten. Dann kam die Mittelschule und vor allem das Skifahren. 2012/2013 verpasste ich wegen einer schweren Knieverletzung eine Saison. Damals suchte ich nach einem Plan B, falls ich die Rückkehr in den Skiweltcup nicht mehr schaffen würde. In der Berufs- und Laufbahnberatung bestätigte sich mein Wunsch aus der Sekundarschule, ausser beim Alter der Kinder. Mich interessierten nun etwas ältere Kinder stärker.

Veränderte sich das Bild des Berufs im Verlauf der Ausbildung?

(zögert) Während der Ausbildung fand ich es manchmal schwierig, vermittelte Theorie mit der Praxis an den Schulen zu verbinden. In Praktika erfuhr ich immer wieder, dass sich Gelerntes nicht einfach so umsetzen lässt. Plötzlich waren fünf oder sechs Lektionen pro Tag zu bewältigen, was sich schlecht mit den Ansprüchen an aufwendig vorbereitete und durchgetaktete Einzellektionen vereinbaren liess. Das kam mir überhaupt nicht praxistauglich vor.

Was würden Sie an der Ausbildung ändern?

Ich habe keine Rezepte. Man versucht diesen Transfer ja zu leisten. Vielleicht müsste man angehenden Lehrpersonen noch stärker aufzeigen, dass Methoden gelehrt werden, die im Alltag an die jeweilige Situation anzupassen sind.

War der Anteil Praxis zu tief?

Das nicht. Kein anderes Studium hat einen so hohen praktischen Anteil. Das finde ich gut.

Den Berufseinstieg erleben viele als anstrengend. Wie erging es Ihnen?

Mir erging es ähnlich. Ich kann zwar einiges wegstecken. Aber ich hatte auch ein paar happige Situationen zu bewältigen. Mich forderte vor allem der Spagat heraus, beim Vermitteln des Stoffs nicht in Rückstand zu geraten und parallel dazu die frisch eingeschulten Kinder zu begleiten. Nach dem ersten Quartal musste ich Kinder in Abklärungen schicken und in ein Einschulungsjahr umteilen. Nicht alle Eltern können mit solchen Sachen gleich gut umgehen. Das führt zu intensiven Diskussionen, die einen belasten. Mit mehr Erfahrung wäre mir das leichter gefallen.

Die Planung eines ganzen Unterrichtsjahrs empfand ich als grosse Herausforderung.

 

Holten Sie sich Unterstützung?

Ich hatte das Glück, im Kanton St. Gallen zu unterrichten. Dieser bietet ein Mentorat für junge Lehrpersonen an. Einmal pro Woche konnte ich mich mit einer erfahrenen, frisch pensionierten Lehrerin austauschen. Sie half mir mit erprobten Unterrichtsmaterialien aus. Ich konnte zum Beispiel ihren Sandkasten übernehmen, in den die Kinder Buchstaben zeichnen konnten. Zudem traf ich mich alle paar Wochen mit anderen frisch Diplomierten. Dort besprachen wir Situationen aus dem Schulalltag, die uns beschäftigten.

Den Umgang mit schwierigen Situationen, ob mit Kindern oder Eltern, lerne man zu wenig, hört man zuweilen als Vorwurf. Wie sehen Sie das?

Elternarbeit ist schon Teil der Ausbildung. Wie intensiv diese sein kann, das wusste ich aber nicht. Ich habe jedenfalls die ersten Wochen unterschätzt.

Sind Lehrpersonen immer noch Einzelkämpfer?

Das Team ist schon da und in meinem Fall stand auch die Schulleitung immer hinter mir. Aber im Klassenzimmer ist man doch auf sich allein gestellt. Es gab halt auch nur eine erste Klasse im Schulhaus. Die Planung eines ganzen Unterrichtsjahrs empfand ich als grosse Herausforderung.

Was wünschen Sie sich von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen?

Manchmal wünschte ich mir etwas mehr Offenheit gegenüber Inputs, die Junge aus der Ausbildung mitbringen.

Sie absolvierten als Quereinsteigerin an der Pädagogischen Hochschule Graubünden die normale Ausbildung. Berufsbegleitend war nie ein Thema?

Spitzensport ist nicht als Beruf anerkannt. Ich hatte keine andere Wahl. Nach zehn Jahren im Weltcup war ich aber wirtschaftlich genug abgesichert, um mir das leisten zu können.

Laien helfen, den Lehrpersonenmangel zu lindern. Wie finden Sie das?

Krass ist, dass es überhaupt so weit kommen musste. Ich frage mich schon, wie die das schaffen. Wahrscheinlich können sie nicht alle Aufgaben übernehmen. Etliches bleibt wohl an ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern hängen.

Erwarten Sie, dass diese Leute eine Ausbildung nachholen müssen?

Das ist ein Dilemma. Schulklassen ohne Lehrperson, das geht ja auch nicht. Wenn ich Tür an Tür mit jemandem unterrichten würde, der keine Ausbildung gemacht hat, würde mir das aber schon Mühe machen.

Sie wurden vor Kurzem Mutter. Kehren Sie ins Schulzimmer zurück?

Ja. Ich werde auf das nächste Semester hin mit einem Pensum von fünf Lektionen einsteigen. Dass das möglich ist, ist das Schöne am Lehrberuf. Ich geniesse es sehr mit meiner Tochter daheim, aber der Ausgleich wird mir guttun.

Würden alle zehn Prozent mehr arbeiten, gäbe es keinen Lehrpersonenmangel. Was halten Sie von der Forderung nach einem Mindestpensum?

Ohne individuelle Lösungen würden wohl viele abspringen. Ich würde wahrscheinlich nicht einsteigen.

Was würden Sie Leuten mit auf den Weg geben, die einen Quereinstieg in den Beruf erwägen?

Unbedingt machen. Mehrere Ausbildungen im Verlauf eines Erwerbslebens zu absolvieren – auch in komplett verschiedenen Gebieten –, ist heute üblich.

Was raten Sie jenen, die jetzt vor dem Berufseinstieg stehen?

Mir tat der Austausch mit anderen in einer ähnlichen Situation mega gut. Wichtig ist, die Ansprüche an sich selber nicht zu hoch anzusetzen. Man darf sich durchaus die Frage stellen, ob die Kinder etwas besser lernen, nur weil die Vorbereitung einer Lektion länger dauert als die Lektion selber. Und: Es ist wichtig, Erlebnisse, seien es gute oder schlechte, richtig einzuordnen – und dann weiterzugehen.

Zur Person

Denise Feierabend war Skirennfahrerin. Als grössten Erfolg gewann sie im Teamevent an den Olympischen Spielen in Pyeongchang 2018 die Goldmedaille. Vor anderthalb Jahren schloss sie an der Pädagogischen Hochschule Graubünden die Ausbildung zur Primarlehrerin ab und übernahm eine erste Klasse in Vilters (SG). Feierabend (33) ist verheiratet und seit August Mutter einer Tochter. Sie wohnt mit ihrer Familie in Igis (GR).

Dieses Interview und mehr zum Thema Quereinstieg können Sie auch in der Dezember-Ausgabe von BILDUNG SCHWEIZ lesen.

Datum

27.12.2022

Autor
Interview: Christoph Aebischer