«Ich weiss, dass ich nichts weiss!»

Die neue Metastudie «Alter und schulisches Fremdsprachenlernen» des Nationalen Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit (KFM) in Freiburg liefert einen Überblick über den Forschungsstand zum früheren od. späteren Sprachenunterricht. Sie bringt spannende Erkenntnisse, aber keine Antworten auf die in der Schweiz aktuell brennenden Fragen.

Die neue Metastudie des Instituts für Mehrsprachigkeit zum Thema «Alter und schulisches Fremdsprachenlernen» in Fribourg zeigt überraschend klar, dass Praktiker aufgrund ihrer Erfahrung meist bereits sehr viel «wissen». Die Sekundarlehrer, wenn sie bemerken, dass sie mit ihrem Unterricht schneller vorankommen, weil Grammatik oder Regelkenntnisse das Lernen in höherer Geschwindigkeit erlauben. Aber nur in diesem Alter. Die Frühsprachen-Freaks, wenn sie betonen, dass jüngere Kinder spielerisch und lautlich korrekt sprechen lernen. Aber nur im jungen Alter und in hoher Dichte. Und sicher nicht in zwei Lektionen mit benoteten «Vocabulaire»-Tests und Grammatik, sondern am besten als Sprachbad. So können maximal höhere Kompetenzen erreicht werden. Wichtig ist der gute Kontakt in die jeweilige Kultur, eine entsprechende Motivation und gute Sprachkenntnisse der Lehrpersonen. Und klar scheint auch: Studien, welche in einem Migrationskontext oder in einem einsprachigen Land gemacht wurden, lassen sich nicht einfach «tel quel» auf die Schweizer Schulen übertragen. 

Was die Studie nicht sagen kann: Ob man besser zuerst mit Französisch oder Englisch beginnen soll. Oder ob man früh beginnen soll. Klar ist nur: Englisch motiviert vor allem Jugendliche, weil diese (Aller-)Weltsprache mit Musik, Film, Games, Styles und Computertechnik viele Verknüpfungen in ihren Alltag bietet. Wenn nun Französisch Priorität haben soll vor Eng-lisch, dann hat das in einem mehrsprachigen Land primär staatspolitische Gründe. Die Romands oder die italienisch Sprechenden müssen als Minderheit sowieso Deutsch lernen; wir in der Deutschschweiz sind als Mehrheit auf den ersten Blick etwas weniger abhängig, die Minderheitensprachen zu lernen. Es geht aber auch um Solidarität, um das Ernstnehmen der anderen Landeskulturen. In der Pflicht sind wir Deutschschweizer. Wenn wir im Austausch die Parallelsprache Englisch als Umgangssprache anbieten, wirkt das für die Minderheiten selbstgefällig und arrogant. Etwa so, wie wir das von Deutschen kennen, die auch nach zehn Jahren noch keinen Dialekt verstehen (nicht sprechen). Man interessiert sich nicht, kümmert sich nicht, wo man lebt. Im Kontakt zwischen LCH und SER wird wie im Bundesparlament die jeweilige Landessprache gesprochen: «Chacun à sa langue».

Das betonen die Romands am meisten: Sie wollen in ihrer Kultur ernst genommen werden. Das funktioniert nicht mit Englisch. Kulturen verstehen heisst zuhören, verstehen und sprechen. In der lokalen Sprache. Was das mit Schule zu tun hat, mit den Kindern im Unterricht? Viel, sehr viel. Wir bilden sie zu künftigen «compatriotes» in diesem Land. Und mit uns als Lehrpersonen? Noch mehr: Wir müssen auch als Lehrerinnen und Lehrer hin und wieder Staatsbürger sein. 

Jürg Brühlmann, Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle LCH


Downloads:

Vorbemerkung zum Kontext des Forschungsüberblicks zum Thema Alter und schulisches Fremdsprachenlernen

Studie «Alter und schulisches Fremdsprachenlernen. Stand der Forschung»

 

Datum

23.09.2014