Muss Bildung der Wirtschaft dienen?

Die Vorgaben für Bildung würden nicht auf die Lebens- und Wirtschaftstauglichkeit der Jugendlichen abzielen, sagt Markus Möhl, Präsident der Berufsschule Lenzburg. Anders sieht es Bildungspolitiker Hans Zbinden. Er ist der Auffassung, die universelle Bildung werde schleichend auf eine beschäftigungs- u. marktrelevante Ausbildung reduziert.

Das Bildungssystem habe sich vom Markt weg bewegt, betonte Markus Möhl, Unternehmer und Präsident der Berufsschule Lenzburg im Interview mit der Aargauer Zeitung vom 15. Januar. Es orientiere sich am einzelnen Kind und seiner individuellen Förderung. «Das ist zwar richtig und sozial», gesteht er ein, doch kämen die Lehrpersonen mit zunehmend steigenden Schülerzahlen und mangelnden Ressourcen an ihre Grenzen. Der Preis sei letztlich der, dass Durchschnittliche und Normale auf der Strecke blieben.

«Es mangelt an den ‹Basics›»
Die Tendenz an Volksschulen, immer weniger Prüfungen durchzuführen, hat mitunter bei vielen Firmen zur Einführung des Eignungstests geführt. Nur so könne geklärt werden, was ein Sekundarschüler mit einem Schnitt von 5,0 tatsächlich könne. Was Markus Möhl bei den Auszubildenden immer häufiger feststellt, sind ihre ungenügend ausgebildeten Fähigkeiten im Rechnen, Schreiben und Lesen. Es mangle an den «Basics».

Wirtschaft als treibende Kraft?
Alt Nationalrat (SP) und Bildungspolitiker Hans Zbinden vertritt eine andere Position. Er macht ganz klar die Ökonomisierung und Technisierung des gesellschaftlichen Lebens als wahre Treiber der Schulreformen verantwortlich, wie er in seinem Gastkommentar vom 29. Dezember 2014 in der Aargauer Zeitung schreibt: «Mit ihrer Logik der Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Käuflichkeit verwandeln diese unser ursprünglich allgemeinbildendes Volksschulwesen immer mehr in ein marktorientiertes Ausbildungssystem.» 

Wissen vermitteln oder Sinn schaffen?
Der Wunsch nach weniger Reformen und nach einer intensiveren Zusammenarbeit der Bildungsorganisationen vor Ort und in der Region habe schliesslich das Konzept von «lokalen Bildungslandschaften» hervorgebracht, erklärt Zbinden. Darin würden Lehrpersonen nicht mehr die Rolle von Wissensvermittlern, sondern jene von Sinnschaffenden übernehmen, indem sie die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützten, aus zusammenhangslosen Wissensströmen persönliche und gesellschaftliche Sinnzusammenhänge herzustellen. Ob ein solches Konzept mit solchen Erwartungen an Lehrpersonen in der Realität umgesetzt werden kann, bezweifelt Markus Möhl. 

Schwachstellen suchen!
Hans Fahrländer, Redaktor der Aargauer Zeitung, reagiert in seinem Kommentar sachlich und pragmatisch. Zum einen betont er, dass die Volksschule jedes Jahr viele erfolgreiche junge Menschen hervorbringe, die sich in weiterführenden Schulen, in der Lehre und im Leben draussen bewähren würden. Zum anderen weist er darauf hin, dass sehr wohl auch Schwachstellen existierten. «Nach diesen müssen wir gezielt und ohne ideologische Scheuklappen suchen», betont er. (bm)

Weiterlesen
Lesen Sie das Interview mit Markus Möhl sowie die beiden Kommentare von Hans Fahrländer und Hans Zbinden hier: 

«Wir brauchen Jugendliche, die schreiben und rechnen können» (Interview mit Markus Möhl, AZ, 15.01.2015)

Die Schule Aargau hat Schwächen (Kommentar Hans Fahrländer, AZ, 15.01.2015)

Der lautlose Wandel der Schule (Gastkommentar Hans Zbinden, AZ, 29.12.2014)


Was ist Ihre Meinung?
Mangelt es unseren Jugendlichen tatsächlich an den «Basics»? Wenn ja, wer ist schuld daran? Lehrpersonen als «Sinnstifter» – sehen Sie sich in dieser Rolle? Schreiben Sie uns Ihre Meinung an onlineredaktionnoSpam@LCH.noSpamch.

 

Datum

16.01.2015