Soziale Durchmischung in Gefahr

Weshalb entscheiden sich Eltern, ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken? Bröckelt das Vertrauen in die Volksschule? Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle LCH, und weitere Gäste diskutierten am 29. Juni 2017 in der Radiosendung «Forum» auf SRF1 über den Wert der Volksschule und die veränderten Ansprüche.

Schweizweit besucht jedes zwanzigste Kind eine Privatschule, die regionalen Unterschiede sind dabei gross. In der Tendenz werden es immer mehr Privatschulen. Die Talksendung «Forum» auf Radio SRF1 ging am 29. Juni 2017 unter der Moderation von Michael Sahli der Frage nach, ob sich am Vertrauen zur Volksschule etwas geändert hat. Seine Gäste waren Carl Bossard, Lehrer und Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zug; Peter Frey, Privatschul-Rektor und Co-Präsident des Verbands Zürcher Privatschulen, und Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle LCH. Jürg Brühlmann sagte, die Volksschule sei die grosse Klammer unserer Gesellschaft. «Sie gehört zu den Institutionen, bei denen man noch zusammenkommt in unserer Gesellschaft.» Er wies auf die zum Teil sehr widersprüchlichen Aussagen und Anforderungen hin, die zur öffentlichen Schule gemacht und gestellt würden. Während die einen die Förderung der Selbständigkeit im Zentrum sähen, sei für andere die Sprachkompetenz das Wichtigste. Es stelle sich immer die Frage, wem man es recht machen wolle.

Brühlmann zeigte auf, dass sich die Schule seit ihrer Gründung vor rund 200 Jahren immer an das Umfeld anpassen musste. Heute sei die Digitalisierung das Phänomen, auf das die Volksschule reagieren müsse. Er stellte aber auch klar: «Wir brauchen die Ressourcen und gewaltige Investitionen in die Modernisierung der Schule, damit die Schule bei der Digitalisierung mithalten kann.» Die Schule stehe unter einem enormen Innovationsdruck. «Wir sind in einem Suchprozess, in einem Entwicklungsprozess. Schwierig wird es dadurch, dass die Politik derart kantonal organisiert ist, dass keine Vision erkennbar ist. Politisch Verantwortliche können heute nicht sagen, wo die Reise hingeht», betonte Brühlmann.


Immobilienpreise führen zu Ausdifferenzierung
In der Diskussionsrunde ging es auch darum, weshalb Eltern ihre Kinder in eine Privatschule schicken. Als ein möglicher Grund wurde die Sorge genannt, dass das Kind in der Schule nicht genügend gefordert werde und dadurch sein Potenzial nicht voll ausschöpfen könne. Jürg Brühlmann verbindet dies mit der Heterogenität in der Schule und der Einführung des integrativen Unterrichts. Gleichzeitig stelle er einen Trend zur Segmentierung fest, die er als hausgemachtes Problem bezeichnete. «Über die Immobilienpreise findet eine ziemliche Ausdifferenzierung statt: in gewissen Quartier gehen jene Kinder zur Schule und in anderen jene. Wenn die Eltern das Schulhaus wechseln möchten, weil es ihnen nicht passt, müssen sie das Quartier wechseln, wo sie aber die Mietpreise nicht vermögen.» Dabei wisse man aus der Forschung, dass eine starke Heterogenität erst dann zum Problem für Kinder, die aufs Gymnasium möchten, werde, wenn man sehr viele Fremdsprachige in der Klasse habe. Bei Schulen mit 40 oder mehr Prozent Fremdsprachigen müsste klar mehr Geld für Unterstützung im Schulzimmer gesprochen werden, ist Jürg Brühlmann überzeugt. «Wenn man mal 90 Prozent Kinder in einer Klasse hat, die zuhause kein Deutsch reden, wird es ganz schwierig, dass sie in einem solchen Kontext überhaupt Deutsch lernen.» Die soziale Durchmischung sieht der Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle neben den Mietpreisen noch durch einen zweiten Faktor bedroht: Immer häufiger wälzen Schulen Kosten auf die Eltern ab, was früher undenkbar gewesen wäre.

In der Schlussrunde äusserten die Diskussionsteilnehmer ihre Wünsche für die Volksschule der Zukunft. Jürg Brühlmann sagte: «Mein Traum ist es, dass die öffentliche Schule bestehen bleibt, dass sie Ressourcen hat und auch Visionen bekommt, um sich zeitgemäss weiterentwickeln zu können. Das braucht einen politischen Willen. Und ich wünsche mir, dass möglichst viele Leute in der Bevölkerung weiterhin die Schule stützen wollen, auch indem sie bereit sind, die Mittel bereitzustellen, die sie braucht.» (dc)

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Haben Sie noch Vertrauen in die Volksschule? (Radio SRF1, Sendung Podium, 29.06.2017)

Datum

03.07.2017