Standpunkte

Berufseinstieg als Lehrperson – von null auf hundert!

Mitte August haben Tausende von Kindern ihren ersten Schultag – ihren ersten Kindergartentag, ihren ersten Mittelstufentag, ihren ersten Oberstufentag oder gar ihren ersten Lehrtag. Anspannung und Nervosität lassen oftmals nicht nur die Kinder und Jugendlichen, sondern auch deren Eltern schlecht schlafen – meist die letzten zwei Nächte vor Schul- oder Lehrbeginn.

Manchmal gibt es Situationen, in denen die ganze Familie während zwei oder sogar drei Wochen nicht gut schlafen kann, so gross ist die Anspannung. Dann die Erlösung: Das Schuljahr beginnt. Nach dem ersten Tag, vielleicht auch erst nach der ersten Woche, legt sich das Ganze wieder und der Alltag kehrt ein.

Mitte August beginnen aber auch Hunderte von Neulehrerinnen und Neulehrer auf der Kindergarten-, Primar- und Sekundarstufe ihr Berufsleben. Sie bereiten sich oftmals während fünf oder gar sechs Wochen auf ihren Start als Lehrperson vor. Meist vergeht die Nervosität nicht nach einer Woche. Oft ist in der zweiten Woche bereits ein erster Elternabend angesetzt, dann folgen die ersten Elterngespräche, die ersten schwierigen Entscheidungen, die ersten Disziplinarfälle, die ersten … Was das Ganze noch anspruchsvoller macht, ist die Verantwortung; die Verantwortung, einen Lernprozess nicht nur über eine Lektion, eine Einheit oder einen Monat wie bisher an der pädagogischen Hochschule, sondern über den Zeitraum von zwei bis drei Jahren steuern zu müssen. Das kann an gewissen Tagen schwer lasten, an anderen Tagen weniger, aber die Verantwortung bleibt eine ständige Begleiterin.

Im Gegensatz zu den Schülerinnen und Schülern sind Lehrpersonen aber alleine – nicht zu zwanzigst, nicht zu zehnt, sondern alleine. Lehrerinnen und Lehrer übernehmen den ganzen Job von heute auf morgen, ohne doppelten Boden, ohne Einarbeitungszeit, ohne Begleitung. Sie haben niemanden, der ihren Lernprozess weiter begleitet und der dafür die Verantwortung (mit)trägt. An vielen Orten machen Kolleginnen und Kollegen diesen Schritt alleine – bestenfalls mit ein wenig Unterstützung durch einen Mentor, dies aber in einem Rahmen von höchstens 60 Stunden. Einige meistern diesen Schritt erfolgreich, andere aber nicht, leider. Schade!

Im Verlauf eines bezahlten Mentorats durfte ich im vergangenen Jahr mehrere Lehrpersonen bei ihrem Berufseinstieg unterstützen und begleiten. Mein bezahltes Zeitbudget reichte aber nicht aus. Hinzu kam, dass die Neulehrpersonen andere Fächer unterrichteten als ich, ich konnte ihnen also fachlich keine grosse Unterstützung bieten. Diesen Part haben andere Lehrpersonen im Team übernommen – unbezahlt. Wenn man erfolgreiche Berufseinsteiger fragt, weshalb sie einen gelungenen Einstieg ins Berufsleben erlebt haben, antworten sie häufig, weil das Team ihnen geholfen habe. Oftmals wird diese Hilfe nicht bezahlt, Teams leisten sie gratis, Berufskolleginnen und -kollegen nehmen diese zusätzliche Arbeitszeit auf sich.

Der LCH hat kürzlich ein Positionspapier zum Thema Berufseinstieg veröffentlicht. Er fordert darin eine professionellere Gestaltung des Berufseinstiegs, bis hin zum berufsbegleitenden Masterabschluss für Lehrpersonen der Kindergarten- oder Primarstufe. Es braucht im heutigen Schulumfeld unbedingt einen professionellen, begleiteten Einstieg zum Wohle aller Beteiligten, nicht nur der betroffenen Lernenden oder der Lehrpersonen, die auch im folgenden Sommer die nächste Neulehrperson einarbeiten müssen und dies erst noch unbezahlt.

Datum

02.08.2017

Autor
Samuel Zingg

Publikation
Standpunkte