Standpunkte

Nach den Wahlen – vor den Wahlen: ein Rück- und Ausblick

Die National- und Ständeratswahlen 2015 sind bereits Geschichte. Bisherige wurden wiedergewählt, neue Kandidatinnen und Kandidaten wurden gewählt. Sie alle haben einen langen und mehr oder weniger aufwendigen Wahlkampf hinter sich. Vieles wurde versprochen; wir können uns auf (noch) bessere Zeiten freuen!

In den letzten Wochen vor den Wahlen wurde in den Medien von einem langweiligen Wahlkampf geschrieben. Nach dem Durchlesen der Wahlprospekte und Inserate bin ich anderer Meinung. Ich habe allerlei Interessantes, Merkwürdiges, Unverständliches und auch Belustigendes entdeckt.

Da wurde ich als Wähler beispielsweise aufgefordert, die «richtigen» Leute nach Bern zu schicken. Wer will denn schon die «falschen» Leute schicken? Gemäss Aussagen in den Wahlprospekten sind die «richtigen» Leute diejenigen, welche «schwimmen», «segeln», «joggen», «Berge», «Wald und Wild» (...?), die «schiessen», «kochen», «wandern», «Violine spielen», «Akiv Fussball» (Originalzitat!), «grillieren» und «Katzen» haben. Ausserdem gehört man zu den «richtigen» Leuten, wenn man Präsident eines Parkhauses, Mitglied eines Posaunenchors oder Fischereivereins, Schafzüchter, Pensionist, Stundenschreiber (?) ist oder gerne bastelt und Modellschiffe baut. Die Zukunft soll «enkeltauglich» sein. Diese neue Wortkreation löst bei mir die Frage nach der Tauglichkeit für Grossmütter und Grossväter aus ...

Jemand will «Politik für die kleinen Leute» machen (was ist mit den grossen Menschen?). Schon fast skurril wirken Aussagen wie «Weizen säen statt Strassen» (wo gibt es denn Strassensamen zu kaufen?), «Das Land braucht neue Gärten» (sind alte Gärten nutzlos?) und «Schluss mit Schulterschluss, Schnellschuss und anderem Gugus». Ein Kandidat will «die Energie wenden» (nach welchem noch unbekannten physikalischen Gesetz?), eine Kandidatin bezeichnet sich als «mutig, authentisch und anders» (die Definition des Andersseins ist dem Wähler oder der Wählerin überlassen). Es erfüllt mich mit Freude, dass sich endlich jemand für einen «nützlichen Umweltschutz» einsetzen will. Mit der Forderung nach «mehr Opensource und Opendata» kann ich jedoch wenig anfangen. Zumindest braucht es zu dessen Erfüllung kein neues Mitglied im Nationalrat. Ein Kandidat hat sogar hellseherische Fähigkeiten; er weiss schon vor den Wahlen, was er in Zukunft als Nationalrat gemacht haben wird («Ich setzte mich ein für eine Schweiz, die ...»). Die Karten werden «neu gemischt» (was dabei rausschaut ist wohl eher zufällig) und der «Bauer schlägt den König» (beim Kaffeejass in der Mittagspause?). Immerhin lese ich auch, dass die «Bildung unsere wichtigste Grundlage» ist und dass unsere Kinder «alles werden dürfen, nur nicht dumm». Da bin ich doch froh darüber und blicke vertrauensvoll in die Zukunft. Den Nagel auf den Kopf trifft eine Partei mit dem Aufdruck auf ihren Plakaten «Vertrau keinem Plakat».

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Ich werde in vier Jahren keine Plakate mehr lesen.

Datum

27.10.2015

Autor
Bruno Rupp

Publikation
Standpunkte