Standpunkte

Was machen wir mit den jüngeren Kindern im Kindergarten und in der Schule?

Eine Anfrage, die mich als Präsidentin der Stufenkommission 4bis8 immer wieder erreicht. In einem Telefongespräch aus den vergangenen Wochen wurde ich zu dieser Frage mit der Hypothese konfrontiert, dass wegen HarmoS die Sprachkompetenzen vieler Kinder auf ein tiefes Niveau gesunken seien.

In einer ausführlichen Diskussion konnte ich meinen Standpunkt darlegen: Ich gehöre zur grossen Mehrheit, die am 21. Mai 2006 die revidierten Bildungsartikel in der Bundesverfassung angenommen hat. Nebst meiner Arbeit im LCH arbeite ich als Schulische Heilpädagogin im Kindergarten und in der Unterstufe im Kanton St. Gallen. Der Kanton St. Gallen ist ein HarmoS-Kanton, der die Eckdaten des Konkordats schon fast zehn Jahre umsetzt.

Wenn meine Kolleginnen und ich die Rhythmisierung des Schulalltages von heute mit vorher vergleichen, hat sich einiges geändert. In der Unterstufe haben wir den «Znünikreis» eingeführt, der ganz ähnlich wie im Kindergarten, vor der Pause gemacht wird. Freies Spiel findet auch im Unterstufenalltag statt. Teamteaching und integrierte schulische Förderung sind üblich und erleichtern differenzierenden Unterricht. Der DaZ-Unterricht wird in integrativer Form und meistens von derselben Lehrperson durchgeführt, die das Teamteaching macht. Die geführten Settings werden den Kindergruppen angepasst und finden innerhalb des Halbtages in kleineren Einheiten statt. Ist ein Team gut eingearbeitet, passieren die Übergänge fliessend. Ich meine, dass mit einem professionellen Team und handlungsorientierten Methoden das jüngere Kind sehr gut dort abgeholt werden kann, wo es steht. Das Eingewöhnen der Kleinen zum Schuljahresbeginn wird auch in meinem Team als anstrengend empfunden, doch wissen wir, wie schnell die Kinder Fortschritte machen und nutzen die Möglichkeiten des Teams aus.

Wir stellen fest, dass gerade für Kinder mit wenig anregendem Umfeld eine frühere Einschulung in den Kindergarten sinnvoll ist. Nicht HarmoS ist dafür verantwortlich, dass bei vielen Kindern die Sprache eher rückständig entwickelt ist, sondern die Veränderungen in der Gesellschaft. Viele Kinder werden zwar täglich mit viel Sprache aus Fernsehen oder anderen Geräten “berieselt”, doch dabei fehlt die Interaktion. Die Schnelligkeit unseres Alltags hat ebenfalls Einfluss auf die Kommunikation in den Familien. Mir scheint, dass einander zuhören und darauf eingehen immer mehr zu kurz kommt. Wie sollen die Kinder aktives Zuhören lernen, wenn ihnen selten jemand “richtig” zuhört. Deshalb setzen die neuen Lehr- und Lernformen für die Kinder am richtigen Ort an. Die Kinder lernen beim Spielen, Handeln und in der Interaktion ihrem Alter entsprechend und nicht nur für die Lehrperson. Damit schwenke ich zum Lehrplan 21, der genau dieses Grundprinzip verfolgt. Der Lehrplan 21 ist eine Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen und auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse seit der Annahme der revidierten Bildungsartikel 2006. Gespannt erwarte ich die Umsetzung im Kanton St. Gallen. 

Zum Schluss meine Empfehlung zur Frage «Was machen wir mit dem jüngeren Kind im Kindergarten und in der Schule?»: Wir nützen die Möglichkeiten in unseren Schulteams aus und versuchen den Aufwand für die Zusammenarbeit möglichst in Grenzen zu halten. Wir bestärken uns darin, gegenseitig zu sehen, welche Fortschritte die Kinder bereits gemacht haben und nicht nur davon zu reden, was sie immer noch nicht können. Dabei wünsche ich viel Ausdauer und die nötige Gelassenheit!

Datum

03.03.2015

Autor
Ruth Fritschi

Publikation
Standpunkte