Rituale geben Sicherheit. Sie helfen uns, Situationen zu strukturieren und einzuordnen, mit Phasen abzuschliessen und mit neuen zu beginnen. Kleine Rituale sind so automatisiert, dass das Augenmerk bei deren Ausführung auf ganz unterschiedlichen Aspekten liegen kann. Das Händeschütteln hilft mir oft dabei, zu erfassen, wie es meinen Schülerinnen und Schülern geht. Dieses Wissen kann mir später helfen einzuordnen, wieso eine Schülerin heute nicht aktiv im Unterricht mitmacht oder wieso ein Schüler nicht zur Ruhe kommen kann. Ich kann am Ende einer Lektion noch einen Satz zur Schülerin X sagen und so sehr niederschwellig ein lernförderliches Classroom-Management betreiben.
Klar gibt es stellvertretende Rituale, wie zum Beispiel ein Nicken mit Augenkontakt zu Beginn und am Ende einer gemeinsamen Aktivität. Und trotzdem fehlt mir der Kontakt, den ich mit den stellvertretenden Ritualen nie ganz in der gleichen Art und Weise herstellen kann. Vielleicht ist es nur mein Unvermögen, vielleicht ist aber einfach noch zu wenig Zeit vergangen und es ist noch zu ungewohnt, als dass ein neues Ritual den gleichen Zweck erfüllen kann.
Auch Schülerinnen und Schüler brauchen Rituale. Einige mussten infolge der Massnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus untersagt oder abgesagt werden. Nun haben wir mit dem letzten Öffnungsschritt des Bundesrates jedoch wieder Möglichkeiten erhalten, wenigstens gewisse Abschiedsrituale durchführen zu können. Einerseits verabschieden sich viele Schülerinnen und Schüler von ihren Klassenlehrerinnen und -lehrern, anderseits treten andere aus einem Zyklus oder gar aus der Volksschule aus. Und nicht vergessen dürfen wir Kolleginnen und Kollegen, die uns aus verschiedenen Gründen am Ende des Schuljahres verlassen werden. Sie alle sollen gebührend verabschiedet werden.
Im Wissen, dass diese Rituale eine wichtige Komponente für Schulen sind, um mit einer (Lebens-) Phase abzuschliessen und um bereit zu sein, das Neue zu wagen, freut mich dieser Entscheid des Bundesrates. Auch wenn ich spüre, dass wir Lehrpersonen doch ein wenig müde von dieser langen, aussergewöhnlichen Situation sind und eine Verabschiedung zu planen und durchzuführen einiges an Aufwand mit sich bringt – insbesondere um die geltenden Abstandsregeln einhalten zu können –, so meine ich doch, dass sich dieser Aufwand lohnt.
Ich wünsche euch allen einen guten letzten Schulmonat mit geselligen, wertschätzenden und wohltuenden Abschlussritualen.