Standpunkte

Altersdurchmischtes Lernen - eine pädagogische Innovation? (Marion Heidelberger)

Die Gemeinde Zumikon stellte 2010 die Schulorganisationsform auf das Modell der Mehrjahrgangsklassen um. Und zwar ohne, dass dies aus organisatorischen Gründen nötig gewesen wäre. Sechs Jahre später ist der Medienmitteilung vom 23. August zu entnehmen: «In Abwägung aller Gesichtspunkte und dem Wissen, dass die Qualitätsziele der Schule Zumikon sowohl in Jahrgangsklassen als auch in altersdurchmischten Klassen erreicht werden können, hat sich die Schulpflege entschieden, die Primarschule per SJ 2017/18 auf das Modell der Jahrgangsklassen umzustellen.»

Was ist schief gelaufen?
Vom Entscheid sind 14 Unterstufen- und Mittelstufenklassen betroffen. Im Schulprogramm 2015-19 sei die Überprüfung und die Weiterentwicklung der Schulorganisationsform des Altersdurchmischten Lernens (AdL) vorgesehen gewesen. Interne und externe Schulevaluationen hätten gezeigt, dass sich die neuere Organisationsform an sich nicht entscheidend auf die Unterrichtsqualität ausgewirkt hätte und die Lernziele erreicht worden seien. Jedoch hätten sich seit der Ablösung der alten Organisationsform mit Jahrgangsklassen die Herausforderungen verschärft. Die Organisation eines vernünftigen Lektionenplans für alle Beteiligten und die Pensengestaltung für den Fremdsprachen- und Fachunterricht seien immer schwieriger geworden. Hinzu käme, dass die kritische Grundhaltung vieler Eltern und Teile der Bevölkerung nicht weniger geworden sei. Diese Kriterien hätten letztlich zum Entscheid der Zumiker Behörde geführt, auf das nächste Schuljahr wieder zum Modell der Jahrgangsklassen zurückzugehen. Gemäss einem Artikel in der NZZ vom 4.10. gehe damit ein «anhaltender Glaubenskrieg» zu Ende.

Was hat sich seit 2010 verändert? 

Zu Beginn der Umstellung war der Kanton bei der Verteilung zusätzlicher Stellenprozente noch grosszügig. Da der Richtwert für Mehrgangsklassen bei 21 und nicht bei 25 wie bei Jahrgangsklassen liegt und der Fremdsprachenunterricht teilweise per Gesetz in Jahrgangsklassen stattfinden muss, generiert diese Organisationform mehr Stellenprozente als das Herkömmliche. Durch die Ablehnung der Grundstufe 2012 war AdL politisch nicht mehr opportun und es wurden keine zusätzlichen Gelder mehr dafür eingestellt.
Der Kanton liess verlauten, dass für ihn beide Modelle gleichwertig seien, er diese Schulorganisationsform gerne unterstütze, aber nur wenn die geografischen Verhältnisse speziell seien und diese Form nötig machen würde, dies entspräche schliesslich einer langen Tradition. Aber eine Umstellung aus rein pädagogischen Überlegungen werde nicht empfohlen. Dies hiess ab da konkret: Je mehr Gemeinden auf eine altersgemischte Organisationsform umstellen, desto weniger zusätzliche Stellenprozente stehen den einzelnen Gemeinden zur Verfügung. Und irgendwann ist es unter den stetig abnehmenden personellen Ressourcen nicht mehr möglich, diese pädagogische Reform seriös umzusetzen. So geschehen auch in Zumikon.

Wie war das damals mit der Basisstufe?

Die Erkenntnisse aus Zumikon werden mit den Evaluationsergebnissen des Basisstufenversuches bestätigt. Damals wurden ebenfalls keine signifikanten Unterschiede zur Vergleichsgruppe in Jahrgangsklassen im Leistungsbereich festgestellt. Aber es rückten viele positive Nebeneffekte in den Fokus. Beispielsweise dass die Kinder über höhere Sozialkompetenzen verfügten, dass die Lehrpersonen subjektiv weniger belastet waren, weil sie durch das gemeinsame Teilen von Verantwortung und das Vieraugenprinzip entlastet wurden und dass die Selbständigkeit der Kinder zunahm. Dem gegenüber stand allerdings ein grosser Mehraufwand in der gegenseitigen Absprache und im gemeinsamen Vorbereiten.

Was bleibt in Zumikon?

Die positiven Elemente der Umstellung, beispielsweise bewährte Modelle des offenen Unterrichts, der Fokus auf die Sozialkompetenz, die gute Zusammenarbeit in den Stufenteams sowie der erfolgreiche Umgang mit Heterogenität sollen in die neue, alte Organisationsform überführt werden. Die Lehrpersonen werden aber mit ihrer Präsenz und ihrer Arbeit wieder stärker ins Zentrum gerückt.

Ist Altersdurchmischtes Lernen nun eine pädagogische Innovation oder nicht?

Ja! Für mich ist und bleibt die altersdurchmischte Organisationsform eine pädagogische Innovation. Die umgesetzte Durchlässigkeit und der strukturell bedingte differenzierte Unterricht machen den Umgang mit der vorhandenen Heterogenität (auch in sogenannten Jahrgangsklassen sind bis zu drei Jahrgänge zusammengefasst) einfacher. Sie wird sogar bewusst genutzt. Kinder können noch mehr voneinander und miteinander lernen, was sich auf Motivation und Eigenverantwortung positiv auswirken kann.

Aber Innovation kann nicht kostenneutral sein! Ohne die nötige Infrastruktur, ohne geeignete, differenzierende Lehrmittel und ohne zusätzliche Ressourcen in Form von Stellenprozenten für kleinere Lerngruppen ist keine pädagogische Innovation zu haben. Ob es sich um das Altersdurchmischte Lernen oder um die Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen oder um einen lebhaften Fremdsprachenunterricht handelt spielt keine Rolle. Innovationen kosten immer, nicht nur Geld, sondern auch Engagement und Herzblut. Dafür gibt es unter dem Strich mehr Qualität und bessere Befindlichkeiten. Und vielleicht kann sogar das eine oder andere Kind, das sonst aus dem (Jahrgangs-)Rahmen fallen würde, durch die Veränderung der Organisationform aufgefangen werden. Das würde sich auch finanziell lohnen, externe Schulungen und andere sonderpädagogische Massnahmen können sich in einer kleinen Gemeinde schnell auf den Steuerfuss auswirken. Vielleicht sollte die Politik nicht immer nur kurzfristig und eindimensional rechnen, sondern der Komplexität der Schule Rechnung tragen und langfristig investieren. 

Datum

25.10.2016

Autor
Marion Heidelberger

Publikation
Standpunkte