Standpunkte

Einführung Lehrplan 21: Erfahrungsbericht als Kursteilnehmerin und Kursleiterin

In manchen Kantonen ist die Einführung zum Lehrplan 21 angelaufen, so auch im Kanton St. Gallen. Als Lehrperson für Fördermassnahmen bin ich Teil eines professionellen Schulteams und berichte als Teilnehmerin von zwei Basisthementagen aus dem Kanton St. Gallen.

Für die Weiterbildung zum Lehrplan 21 haben die Schulgemeinden die Wahl, ob sie im Schuljahr 2015/16 oder 2016/17 mit ihren Schuleinheiten an den Veranstaltungen teilnehmen wollen. Die Lehrplan-Umsetzung startet ab Schuljahr 2017/18. In einer Kick-Off Veranstaltung, ca. drei bis sechs Wochen vor der Durchführung der Basisthementage, werden die Rahmenbedingungen vorgestellt und die Einführung des Lehrplans an der Volksschule im Überblick aufgezeigt. Bei den Rahmenbedingungen geht es vordergründig um die Veränderungen in der Stundentafel und um die Lehrmittelsituation im Kanton St. Gallen.

Basisthementage: Information, Austausch und Vertiefung

An den Basisthementagen nehmen die Schuleinheiten in ihren Teams teil. Am ersten Thementag erhalten die Lehrpersonen Inputs zu den Grundlagen des Lehrplans und haben die Möglichkeit, sich in einem ersten Fachbereich zu vertiefen. Pro Halbtag steht ein Zeitfenster zur Verfügung, in dem sich alle Lehrpersonen einer Schuleinheit mit der Schulleitung austauschen können. Am zweiten Thementag haben die Lehrpersonen die Gelegenheit, sich in einem zweiten Fachbereich-Zyklus zu vertiefen. Es findet wieder ein Austausch im eigenen Schulhausteam statt. Nach den Basisthementagen erarbeiten die Schulleitungen unter Einbezug der Lehrpersonen ihre lokalen Einführungsprozesse für die nächsten zwei bis drei Jahre (lokale Vertiefung). Die kantonalen Begleitpersonen stehen für diesen Prozessschritt auf Wunsch beratend zur Seite.

Viele Anregungen in den Workshops

Mit gemischten Gefühlen habe ich mich in die Zuhörerreihen gesetzt und den Ausführungen der Mitarbeitenden des Amts für Volksschule und der Pädagogischen Hochschule St. Gallen zugehört. Das Referat zu den Grundlagen war in Form eines Dialogs aufgebaut. Man merkte, dass die beiden Referenten die Komplexität des Lehrplans im Vergleich zu den bisherigen Lehrplänen etwas zu relativieren versuchten. Mit Erfolg: Es ist ihnen gelungen, die Grundlagen «Kompetenzorientierung, gute Aufgabenstellungen und kompetenzorientierte Beurteilung» praxisnah und verständlich darzustellen. Die vertiefende Arbeit in den Workshops «Lernen mit besonderen Bedürfnissen« und «Mathematik» habe ich als bereichernd und anregend empfunden. Ich nehme von den zwei Kurstagen als Teilnehmerin folgende Blitzlichter zur Umsetzung des Lehrplans 21 mit:

  • Der neue Lehrplan verfolgt die Absicht, dass die Schule mehr wirkt (nützt).
  • Kompetent ist, wer Herausforderungen und Probleme verantwortungsvoll zu lösen vermag.
  • Anwenden heisst nicht in jedem Fall Handeln. Beim abstrakten Lernen geht es darum, die Lösung zu finden.
  • Kompetent ist, wer gezielt auf fundiertes und gefestigtes Wissen zurückgreift.
  • Eine Kompetenz ist nicht direkt beobachtbar, ich muss aufgrund von sichtbaren Handlungen (Performance) auf ein Kompetenzniveau schliessen.
  • Kompetenzorientiertes Lernen braucht mehr Zeit, also muss ich als Lehrperson die Kernkompetenzen herausschälen.
  • Gute Aufgaben sind Dreh- und Angelpunkt im kompetenzorientierten Unterricht. Was sind denn gute Aufgaben? Sie beginnen beispielsweise mit Formulierungen wie: Warum…? Wann…? Untersuche…! Überprüfe…! Nimm Stellung…! Zeichne…! etc.
  • Mathematik ist mehr als richtig rechnen.
  • Der Kindergarten und die Unterstufe erhalten im Lehrplan 21 eine höhere Gewichtung.
  • Die Orientierung an der Entwicklung des Kindes steht in den Grundlagen des Lehrplans und gilt für alle Zyklen.
  • Die Beurteilung soll ein Teil der Planung sein (vom Ende her denken).
  • Die Beurteilung wird anspruchsvoller, es werden nützliche Instrumente erwartet.

Als Teilnehmerin habe ich zwei anregende Weiterbildungstage erlebt, die sehr gut organisiert waren. In der Schlussrunde meines Schulhausteams gingen die Meinungen auf die Frage, wieviel wir für unsere Praxis mitnehmen können, weit auseinander. Als gemeinsames Fazit haben wir festgehalten, dass unsere Schule auf gutem Weg ist. Ich selber habe tolle Praxisideen für die Mathematik im Zyklus 1 mitgenommen, die ich umsetzen will.

Einführung der Basisschrift – meine Erfahrungen als Kursleiterin

Der Erziehungsrat des Kantons St. Gallen hat beschlossen, mit der Einführung des Lehrplans auch die Deutschschweizer Basisschrift einzuführen. Als Lehrpersonen für den Kaderkurs «Kursleitung Basisschrift» gesucht wurden, habe ich mich gemeldet und eingearbeitet. Unterdessen habe ich zwei Kurse mit Lehrpersonen durchgeführt und in der Schriftwoche an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen mitgewirkt. Meine Erfahrungen als Kursleiterin mit den Studierenden und mit den Lehrpersonen waren durchwegs positiv. Alle Teilnehmenden erkannten bald, dass der künftige Weg zu einer persönlichen Handschrift einfacher wird. Die Studierenden meinten beim Einstieg in die Schriftwoche, dass sie den Weg über die Schnürlischrift stets als Umweg empfunden hätten. Die Mehrheit der jungen Teilnehmenden berichtete zudem, dass sie ab der Oberstufe die Schnürlischrift nicht mehr angewendet hätten. Ihre persönliche Handschrift gleiche viel mehr dem Schriftbild der teilverbundenen Basisschrift. Beim Einstieg in den Kurs der Lehrpersonen wurde der Verlust der Schnürlischrift von einzelnen bedauert, weil die Schreibstunden bei den Schülerinnen und Schülern beliebt seien und diese Lektionen eine angenehme Ruhe in der Klasse mit sich gebracht hätten. Diese kritischen Stimmen waren bald nicht mehr zu hören, als sie feststellen konnten, dass im Kompetenzaufbau D.4.A.1 der Prozess zur eigenen Handschrift stark gewichtet wird. Die Förderung der Fein- und Grafomotorik gehört zum Auftrag des ersten Zyklus, dabei soll eine gute Stift- und Sitzhaltung immer wieder geübt werden.

Ich meine, dass im neuen Lehrplan der Prozess zu einer persönlichen Handschrift sogar stärker gewichtet wird als in den letzten zehn Jahren. Was die Lehrpersonen aus dem Schreibunterricht mit den Kindern berichteten, stellte ich auch bei den Erwachsenen fest. Die Teilnehmenden übten motiviert und fleissig bis sie die drei Stufen der Basisschrift sicher anwenden konnten. Es herrschte Ruhe und hohe Konzentration im Zimmer, die Teilnehmenden hatten Freude am Üben.

Ich komme zum Schluss, dass die Einführung des neuen Lehrplans gut angelaufen ist, weil der Kanton St. Gallen seine Hausaufgaben rechtzeitig und sorgfältig in Angriff genommen hat.

Datum

26.04.2016

Autor
Ruth Fritschi

Publikation
Standpunkte