Standpunkte

Fragen an die Erwartungen

Die Bedeutung des Begriffs «Erwartung» ist Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, bestimmt bekannt und bedarf wohl kaum einer Erklärung. Trotzdem erlaube ich mir ein paar Gedanken und vor allem Fragen dazu zu formulieren.

Im Lexikon der Psychologie liest man folgende Definition: «Erwartung, eines der wichtigsten kognitiven Konzepte. Es spielt in Motivations- und Entscheidungstheorien eine zentrale Rolle, wenn vorhergesagt werden soll, ob eine Handlung unternommen wird oder nicht beziehungsweise welche Alternative in einer Entscheidungssituation gewählt wird.» – Immerhin ein Konzept, aber es hilft mir nicht wirklich weiter. Die Suche im Online-Duden ist wesentlich ergiebiger. Die Suchmaschine liefert 78 Treffer. Zur Bedeutung heisst es: 1. Zustand des Wartens, Spannung; 2. vorausschauende Vermutung, Annahme, Hoffnung. Synonyme von Erwartung werden folgende angegeben: Annahme, Aussicht, Glaube, Hoffnung, Optimismus, Vermutung, Vertrauen. Wörter, in denen «Erwartung» vorkommt, sind: Gewinnerwartung, erwartungsfroh, Erwartungsdruck, Erwartungsangst, Erwartungsnorm, Erwartungshorizont, Zukunftserwartung (kann man eine Erwartung an die Vergangenheit haben?), Endzeiterwartung, Heilserwartung und weitere. Im Zustand des Wartens bestimmt die Vorstellung über das zu erwartende Ereignis, über die erwartete Reaktion eines Gegenübers unsere Gefühle. Dieses Gefühl kann von Angst, Vorsicht, Befürchtung, Skepsis bis hin zu Optimismus, Freude oder Hoffnung auf Erfüllung gehen.

Dalai Lama soll einmal gesagt haben: «Übermässige Erwartungen bringen immer Probleme mit sich.» Was ist denn übermässig, was ist gerechtfertigt, was ist angepasst? Finden wir immer die richtige Balance? Wäre es nicht auch ein bisschen langweilig und fade, wenn die Erwartungen immer den Ereignissen entsprechen und zutreffend sind? Ist es möglich, keine Erwartungen zu haben?

Was haben eigentlich unsere Schülerinnen und Schüler für Erwartungen an uns Lehrerinnen und Lehrer? Was erwartet und erhofft sich ein junger Mensch, der zum ersten Mal in seinem Leben den Kindergarten besucht? Oder die erste Klasse? Oder die Sekundarschule? Oder das Gymnasium? Sprechen wir mit den Schülerinnen und Schülern über ihre Erwartungen, die sie an uns haben? Und welche Erwartungen haben wir an die jungen Menschen? Sprechen wir auch darüber? Ein Unbekannter soll einmal gesagt haben: «Enttäuschung ist das Ergebnis falscher Erwartungen.» Es lohnt sich auf jeden Fall, über das Thema nachzudenken und den Austausch mit unseren Schülerinnen und Schülern zu pflegen. Vielleicht lassen sich ja unnötige Enttäuschungen vermeiden.

Datum

02.10.2018

Autor
Bruno Rupp

Publikation
Standpunkte