Standpunkte

Zuerst die Pädagogik, dann die Technologie

Momentan kann ich kaum einen Anlass besuchen, der sich nicht dem Thema Digitalisierung widmet. Es herrscht oft ein atemloser Ton, verbunden mit der Angst, dass man den Anschluss verlieren könnte. Der Ton der Beiträge schwankt zwischen utopischen Visionen und Schwarzmalerei. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Digitalisierung morgen kommen wird und nun die Gefahr besteht, dass wir uns nicht genügend darauf vorbereitet haben.

Hier muss ich zuerst einmal die Frage stellen, was mit «Digitalisierung» überhaupt gemeint ist. Digitalisierung beschreibt, einfach gesagt, die Umwandlung analoger Werte oder Daten in ein digitales Format. Dies wird jedoch nicht erst morgen geschehen, sondern findet schon seit vielen Jahren, sogar Jahrzehnten, statt. Wir haben uns schon lange daran gewöhnt, dass wir per SMS und E-Mail miteinander kommunizieren, dass Fotos nun digital und nicht mehr auf einer Filmrolle sind oder dass Musikstücke und Videos auf dem Handy oder im Netz abrufbar sind. Die Umstellung von analogen zu digitalen Formaten hat in vielen Lebens- und Arbeitsbereichen bereits stattgefunden.

Auch in der Schule hat die Digitalisierung schon lange Einzug gehalten. Statt mit Hellraumprojektoren arbeitet man mit Beamern; anstelle des Kettentelefons kommunizieren Lehrpersonen heute via WhatsApp-Gruppe mit Eltern und Lernenden; statt Papierformulare in Bundesordnern abzulegen, verwaltet die Schulbehörde die Dokumente elektronisch. Hier und in vielen anderen Lebens- und Arbeitsbereichen wurde bereits von analogen auf digitale Formate umgestellt. Dieser Übergang verlief graduell und man gewöhnte sich schnell an das andere Format, da es sich um «alten Wein in neuen Schläuchen» handelte.

Neben der generellen Digitalisierung gibt es aber auch digitale Transformationen, bei denen digitale Technologien neuartige Prozesse und Produkte ermöglichen, die es vorher so nicht gegeben hat oder nicht geben konnte. Man hört Begriffe wie Smart Cities, künstliche Intelligenzen, autonome Fahrzeuge, Internet der Dinge und Industrie 4.0. Solche digitalen Technologien tragen bereits zur Transformation vieler Schulen bei und werden in Zukunft in weiteren Schulen genutzt. Zum Beispiel können Lernende durch sie gemeinsam zeit- und ortsunabhängig Texte, Fotos und Videos bearbeiten; Lernende können im Naturwissenschaftsunterricht mit Sensoren Daten sammeln und zu internationalen Forschungsprojekten beitragen; anpassungsfähige Lernumgebungen bieten Lernenden ihren Bedürfnissen entsprechend spezifische Lernaktivitäten an; Rückmeldungen von Lernplattformen unterstützen Lernende dabei, ihre Lernfortschritte zu beobachten; Lehrpersonen nutzen intelligente Software, welche die Gestaltung des Unterrichts erleichtert; durch Augmented und Virtual Reality können Lernende und Lehrpersonen auf neue Art und Weise mit Daten interagieren.

Die momentane Flut von Anlässen zur Digitalisierung zeigt die Bandbreite an Ideen und Potenzialen auf. Es ist von zentraler Wichtigkeit, dass Lehrpersonen die nötige Ausbildung und Unterstützung erhalten, um diese Technologien gezielt einzusetzen. Dazu müssen Schulen und Pädagogische Hochschulen klar formulieren, welche neuen didaktischen Ansätze sie anstreben wollen und wie digitale Technologien diese Transformation unterstützen können. Um die digitale Transformation in der Schule in positive Bahnen zu lenken, muss die Pädagogik vor der Technologie kommen.

Datum

27.03.2018

Autor
Beat A. Schwendimann

Publikation
Standpunkte