Eine Aargauer Primarlehrerin hat 2013 mit Unterstützung des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (alv) beim kantonalen Verwaltungsgericht die Klage eingereicht, die Lohneinreihungen der Funktionen Primarstufe und Einschulungsklasse seien geschlechterdiskriminierend. Sie forderte eine diskriminierungsfreie Neueinstufung und die rückwirkende Bezahlung der Differenz ab dem 1. August 2011. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab mit der Begründung, der Primarlehrberuf sei geschlechtsneutral zu qualifizieren, eine geschlechtsbedingte Diskriminierung falle damit vorneweg ausser Betracht.
Hoher Frauenanteil ist ausschlaggebend
Das Urteil des Bundesgerichts vom 1. Dezember 2015 fiel nun mit drei gegen zwei Stimmen zugunsten der Beschwerdeführerin aus. «Der Beruf der Primarlehrperson kann heute aufgrund des hohen Frauenanteils nicht mehr als geschlechtsneutral gelten, sondern muss als frauenspezifisch bewertet werden», stellte das Bundesgericht in seiner Medienmitteilung fest. Der Frauenanteil bei den Primarlehrkräften im Kanton Aargau beträgt über 85 Prozent. Das Aargauer Verwaltungsgericht muss nun prüfen, ob die von der Beschwerdeführerin behauptete Diskriminierung bei der Lohneinreihung der Lehrpersonen auf Primarstufe im Kanton Aargau vorliegt oder nicht.
Freude bei den Lehrerverbänden
Elisabeth Abassi, Präsidentin des alv, ist erleichtert. «Unterrichten an der Primarschule ist eine frauenspezifische Angelegenheit und ich bin zuversichtlich, dass nun auch das Lohnsystem angepasst wird und der Beruf wieder attraktiver wird – und zwar für Männer wie für Frauen», sagt sie gegenüber der AargauerZeitung.
Auch Beat W. Zemp, Zentralpräsident LCH, hat mit Freude und Erleichterung das Urteil entgegen genommen. «Das Scheinargument, der Beruf der Primarlehrpersonen sei kein Frauenberuf, daher könne auch keine geschlechtsspezifische Diskriminierung vorliegen, ist nun ein für alle mal vom Tisch. Der Kanton Aargau als Arbeitgeber muss jetzt über die Bücher und ein diskriminierungsfreies Lohnsystem festlegen. Dieses Urteil ist richtungsweisend», sagt Zemp. Bei den Kindergartenlehrpersonen hat das Verwaltungsgericht bereits eine geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung festgestellt. Die Löhne wurden inzwischen deutlich erhöht, um diese geschlechtsspezifische Diskriminierung zu beenden. «Auch im Lehrberuf dürfen ganze Berufsgruppen wie die Primarlehrpersonen nicht schlechter bezahlt werden, nur weil mehrheitlich Frauen auf dieser Stufe unterrichten», doppelt Franziska Peterhans, Zentralsekretärin LCH, nach.
Nun auch Lohnklagen in anderen Kantonen?
Das Bundesgerichtsurteil vom 1. Dezember 2015 könnte dazu führen, dass Primarlehrpersonen anderer Kantone ebenfalls die Überprüfung ihrer Lohneinreihung verlangen. Beat W. Zemp verweist auf die kantonalen Unterschiede: «Ich rechne nicht mit einer schnellen Flut von weiteren Lohnklagen, da die Situation in jedem Kanton verschieden ist. Beispielsweise hat der Kanton Zürich die Löhne der Primarlehrpersonen vor vier Jahren deutlich angehoben. Der LCH wird die Situation in jedem Kanton genau analysieren.» Für den Zentralpräsidenten LCH ist aber jetzt schon klar: «Diese Bundesgerichtsurteil hat stark präventive Wirkung für künftige Lohneinstufungen. Die Arbeitgeber werden sich in Zukunft genau überlegen, wie sie Lehrpersonen besolden wollen, die an Stufen oder in Fächern unterrichten, in denen vor allem Frauen tätig sind.»
Text: Belinda Meier
Pressestimmen
«Teilsieg für die Aargauer Lehrerinnen» (SRF Tagesschau, 01.12.2015)
«Primarlehrerberuf ist ein typischer Frauenberuf» (SRF Schweiz Aktuell, 01.12.2015)
«Bundesgericht: Primarlehrer ist ein typischer Frauen-Beruf» (AZ online, 01.12.2015