Standpunkte

Ein neues Schuljahr mit Corona

Obschon für viele Leserinnen und Leser «Corona» und «Maskenpflicht» Reizwörter geworden sind, finden Sie in meinem Standpunkt zum Schuljahresbeginn 2020/2021 Gedanken zu beidem.

Ruth Fritschi, Mitglied der Geschäftsleitung LCH

Nach den Schulschliessungen und den Phasen des Fernunterrichts scheint den meisten Menschen in der Schweiz klar, dass Schule in der Schule stattfinden soll. Jeder Schulunterricht lebt von den Beziehungen, den Begegnungen und der Kommunikation untereinander. An meiner Schule hiessen wir am 11. Mai die Schülerinnen und Schüler mit bunten Bändern «Herzlich willkommen zurück». In den folgenden Wochen mit Präsenzunterricht platzierten wir gute Wünsche für gute Gesundheit für die Bevölkerung an allen Hecken und Zäunen der Schuleinheiten im Ort. Wir wollten zeigen, dass es den Kindern und Lehrpersonen in der Schule gut geht und dass wir alle möglichen Schutzmassnahmen umsetzen werden, damit Schule in der Schule stattfinden kann. Alle meine Kolleginnen stellten die Möbel in ihrem Schulzimmer um, damit die Abstände im Arbeitsbereich der Lehrperson besser eingehalten werden konnten. In Zusammenarbeit mit dem Hauswartungsteam wurden die Plätze zum Händewaschen verbessert und Plakate angebracht. Damit genügend Zeit für das Händewaschen besteht, haben wir sämtliche «Klingelzeichen» vorverlegt. Man darf sagen, dass im Kindergarten und in der Primarschule regelmässiges Händewaschen heute zum Schulalltag gehört. Die Kinder sind dabei vielen Erwachsenen voraus, sie waschen die Hände mit Seife ausgiebig und professionell. Die Hauswartungsteams in unseren Schulen verdienen ein grosses Dankeschön für ihre Unterstützung und für ihre Sonderleistungen, denn sie haben neue Putzschichten für Türklinken, Tastaturen etc. eingeführt und versuchen unsere Wünsche für räumliche Anpassungen unkompliziert umzusetzen. 

Künstliche Distanz bei jüngeren Kindern?

Ich stelle fest, dass in meinem Schulalltag die Hygienemassnahmen vorbildlich umgesetzt werden, etwas schwieriger wird es beim Einhalten des Abstandes. Zum Glück bestätigt der bisherige Wissensstand zur Coronapandemie immer noch, dass jüngere Kinder sich natürlich begegnen sollen, ohne «künstliche Distanz». Also kann der Unterricht in den gewohnten Schulräumen stattfinden, auch wenn diese verhältnismässig eng sind. Schwierig wird es beim Abstandhalten zwischen den Kindern und den Lehrpersonen und dies vor allem in den Klassen mit jüngeren Kindern. Die jungen Kinder haben sich zwar an die neuen Begrüssungsrituale gewöhnt, waschen sich ausgiebig und regelmässig die Hände, bleiben bei mündlichen Unterrichtssequenzen auf ihren Stühlen sitzen, doch sobald gehandelt und gelernt wird, brauchen sie immer wieder mal Begleitung und Hilfe in nächster Nähe.

Die wichtige Rolle der Mimik

Jetzt könnte man die logische Konsequenz anordnen: Maskenpflicht für alle Lehrpersonen, dort wo der Abstand nicht eingehalten werden kann. Gerade weil mein erstes Anliegen heisst «Schule muss in der Schule stattfinden», lehne ich eine Maskenpflicht im Unterricht mit Kindern unter zwölf Jahren ab. Die Maske verdeckt die Mimik der Lehrperson, die im Unterricht mit jungen Kindern besonders wichtig ist. Mimikforscherin Eva Bänninger-Huber betont in einem Interview mit SRF 2 Kultur, dass Mimik die zweite Ebene der Kommunikation ist. Sie zeige in welcher Beziehung das Gegenüber einem steht oder wie das eigene Verhalten eingeschätzt wird. Bänninger-Huber bestätigte, dass es insbesondere für junge Kinder und ältere Menschen schwierig wird, Gesagtes einzuordnen, wenn die Mimik, die Beziehungsebene wegfällt. Ein Start ins neue Schuljahr mit Maskenpflicht will und kann ich mir im Kindergarten und in der Primarschule nicht vorstellen. Die Beziehungsebene ist fürs Abholen der Kleinen und für die Begleitung beim Lernen entscheidend.

Damit der Unterricht so natürlich wie möglich stattfinden kann, ist es wichtig, dass die Kinder «gesund» zur Schule kommen. Auch wenn junge Kinder selber selten an Covid-19 erkranken, werden wir in unserer Schule die Eltern aufrufen, ihre Kinder zu Hause zu behalten, wenn diese Schnupfen, Husten oder gar Fieber haben. Zum Schulstart 2020/21 haben wir uns wie viele andere Schulen ganz praktische Überlegungen zum ersten Schultag gemacht. Eltern dürfen ihre Kinder in den Kindergarten oder in die erste Primarschulklasse begleiten, doch sollten sie sich nicht länger als 15 Minuten im Schulzimmer aufhalten. Es wurden Ideen ausgetauscht, wie das Ankommen und die Verabschiedung gestaltet werden können. Wie die meisten Teams hoffen wir auf gutes Wetter am ersten Schultag. Dies würde unsere Organisation erleichtern, dass die Abstände zwischen den Erwachsenen eingehalten werden können.

Keine Quarantäne-Polizei

Covid-19 wird uns wohl das ganze Schuljahr begleiten, und wir Lehrpersonen verbringen oft lange Tage in der Schule. Um den nötigen Abstand untereinander einhalten zu können, haben wir unseren Singsaal zum Teamzimmer für Pausen- und Mittagsverpflegung umfunktioniert und das Teamzimmer wurde zu einem grösseren Vorbereitungszimmer umgebaut. Damit der Musikalische Grundkurs und Förderlektionen für Kinder mit Schulschwierigkeiten möglichst zentral stattfinden können, wurde ein Vorbereitungszimmer aufgelöst und umgestaltet. Diese und andere Zügelarbeiten füllten mitunter unsere erste unterrichtsfreie Woche. Zusammen mit der Schulleitung machten wir uns auch Gedanken über die zahlreichen Familien unserer Schuleinheit, die in ihre Heimatländer Kosovo, Serbien und Nordmazedonien reisten. Einige Kinder berichteten, dass sie dieses Jahr anstatt mit dem Flugzeug mit dem Auto via Deutschland und Österreich reisen würden. Unsere Diskussionen führten zum Schluss, dass wir Lehrpersonen und die Schulleitung auf keinen Fall die Funktion einer Quarantäne-Polizei übernehmen werden. Wir werden beim Start ins neue Schuljahr nicht aktiv erfragen, wo sich die Schülerinnen und Schüler während den Ferien aufgehalten haben. Erfreut konnte ich im Blick lesen, dass wir von Silvia Steiner, der Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz, zu dieser Position ganz klar Rückendeckung erhalten.

Wie jedes Jahr erwarte ich den Start ins neue Schuljahr mit viel Freude, Anspannung und ein wenig Respekt vor dem, was uns in den ersten Schultagen und Wochen alles erwartet.

Datum

04.08.2020

Autor
Ruth Fritschi

Publikation
Standpunkte