Standpunkte

Es ist Geiz. Was sonst?

Roland B. ist Mitglied der Regierung eines grossen Kantons. Er ist Finanzdirektor und ist als solcher massgeblich verantwortlich für die Steuererleichterungen, die dieser Kanton in den letzten Jahren beschlossen hat. Zweifelnde an dieser Politik beruhigte er mit dem Versprechen, dass der Kanton auch weiterhin seine Aufgaben in gleicher Qualität werde erfüllen können. Nun aber zeigt sich, dass genau das nicht stimmt. Dem Kanton fehlt das Geld für die qualitativ befriedigende Erfüllung der Aufgaben, die ihm von Volk und Parlament auferlegt wurden.

Nach einem ersten Abbauprogramm von 2014 will nun Roland B's Kanton die schulischen Angebote ein weiteres Mal mit einem noch schlimmeren Abbauprogramm reduzieren. Geplant ist die Reduktion des Plansolls des Lehrpersonals um 260 Vollzeitstellen, um auf diese Weise zusammen mit anderen Massnahmen dem Bildungsbudget jährlich 32 Millionen zu entziehen. Der Stellenabbau hat unter anderem zur Folge, dass Teilungsstunden an der Primarschule wegfallen.

In einem Interview mit «Schweiz aktuell» rechtfertigt Roland B. diesen Abbau: «Wir gehen davon aus, dass das aus pädagogischen Gründen vertretbar ist. Denn wir wollen nach wie vor eine qualitativ gute Schule, die die Kinder in die Zukunft führen kann.» Reporter: «Aber wenn die Kinder weniger Schule haben, kann die Qualität doch nicht gleich bleiben.» Roland B.: «Das ist nicht sicher. Denn die Kinder sind heute vielfach überfordert an Hand von zu viel Wissen und zu viel Hineinschaufeln in kürzester Zeit.»

Die Antwort ist verblüffend ehrlich. Offenbar will man bewusst das Wissen, das die Kinder in der Schule erwerben sollen, reduzieren. Nicht der Lehrplan (Gibt es da nicht so etwas wie den Lehrplan 21?), sondern die Steuerpolitik definiert, wie viel die Schülerinnen und Schüler lernen sollen.

Wir leben glücklicherweise in einem Land, dessen Wirtschaft hervorragend aufgestellt ist. Das BIP ist so hoch wie noch nie. Selbst die Schwierigkeiten mit dem hohen Frankenkurs drücken die Wirtschaft nicht in eine Rezession. Die Steuern in der Schweiz sind schon lange so moderat, dass deren Senkung keinen weiteren Standortvorteil für Unternehmungen bedeutet und, was avenir suisse jüngst feststellte, auch nicht dazu dient, potente Steuerzahler anzulocken.

Es gibt weder wirtschaftliche noch andere vernünftige Gründe für die Steuersenkungspolitik, wie sie nebst Roland B’s Kanton die meisten anderen Kantone betreiben. Ganz offensichtlich gibt es dafür nur einen Grund: Geiz. Die Folgen dieses Geizes aber sind fatal. Wenn die Schweiz sich daran macht, scheibchenweise das Bildungsangebot zu verschlechtern, dann beschädigt sie ihren wichtigsten wirtschaftlichen Standortvorteil: die hohe Qualität der Bildung der heranwachsenden Bevölkerung. Dagegen anzukämpfen ist eine unserer wichtigsten Aufgaben in der nächsten Zeit.

Datum

29.09.2015

Autor
Nick Stöckli

Publikation
Standpunkte