Im Juni 2015 veröffentlichte der Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH) die Ergebnisse der repräsentativen Erhebung zur Stellensituation in der Deutschschweiz. In der Medienmitteilung war zu lesen, dass der Kindergarten beziehungsweise die Eingangsstufe im Vergleich zum Vorjahr als Problemstufe in Sachen Stellenbesetzung einzustufen sei.
Pünktlich zum Schuljahresbeginn wurde bekannt, dass der Kanton Zürich vom Kindergärtnerinnenmangel besonders betroffen ist. Es konnten nicht alle Kindergärtnerinnen-Stellen besetzt werden, was zu einem neuen Unterstützungsangebot bezüglich Lehrermangel führte. Die Pädagogische Hochschule Zürich hat in Zusammenarbeit mit der Bildungsdirektion Volksschule Zürich einen «Einführungskurs Kindergarten» für Personen ohne Lehrdiplom geschaffen. Der Kurs ist zweiteilig: Im ersten Teil werden die Teilnehmenden in drei Tagen in die Grundlagen des Kindergartens eingeführt, im zweiten Teil erhalten sie während des Anstellungsjahres am Unterrichtsort viermal ein individuelles Coaching. Mit Blick in die Zukunft bereitet mir dieser Sonderkurs Sorgen, da steigende Kinderzahlen im Schuleintrittsalter weiter vorauszusehen sind. Der Mangel an Kindergärtnerinnen wird sich wohl noch verschärfen, und ich möchte davor warnen, dass mit «Schnellbleichen» am heutigen Stellenwert des Kindergartens und am Prestige des Berufs der Kindergärtnerin gekratzt wird.
Ein wenig Geschichte zum Kindergarten, damit Sie verstehen, warum ich vor einem qualitativen Abbau warnen möchte. Der Kindergarten heute ist die erste wichtige Stufe in unserem Bildungssystem. In der ganzen Schweiz war der Kindergarten lange Zeit Sache privater und gemeindlicher Einrichtungen. Durch das Gesetz wurde der Kindergarten eine staatliche Institution. Die Situation der Kindergärtnerinnen wurde ebenfalls durch das Gesetz verbessert. Die Kindergärtnerinnen erhielten einen geklärten Berufs- und Bildungsauftrag. Die Ausbildung und das soziale Prestige der Kindergärtnerinnen haben sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts stark verändert. Mit der Umsetzung der Bologna-Reform schliessen in fast allen Kantonen die Kindergartenlehrpersonen ihre Ausbildung mit einem Bachelor ab. In einigen Kantonen ist das Kindergarten-Obligatorium erst in den letzten fünf Jahren gesetzlich verankert worden.
Als Kindergärtnerin mit seminaristischer Ausbildung habe ich den langen Weg bis zur heutigen Stellung des Kindergartens aktiv begleitet und bin überzeugt, dass am Ausbildungsniveau mit Matura festgehalten werden muss. Ich möchte mit dieser Haltung nicht so verstanden werden, dass ich die Arbeit der Kindergärtnerinnen mit einer altrechtlichen Ausbildung als qualitativ weniger gut beurteile, doch das Rad der Zeit kann nicht zurückgedreht werden. Der Beruf der Lehrpersonen auf allen Schulstufen ist komplexer und anspruchsvoller geworden, und meine Erfahrungen an meinem Unterrichtsort zeigen, dass die professionelle Zusammenarbeit im Team notwendig ist. Dass diese Zusammenarbeit in den letzten Jahren selbstverständlich geworden ist, schreibe ich zu einem Teil der Ausbildung auf gleichem Niveau und an derselben Pädagogischen Hochschule zu.
Ich wünsche mir, dass die betroffenen Gemeinden, die auf Personen ohne Lehrdiplom zurückgreifen mussten, sich nicht nur mit kurzfristigen Notlösungen zufrieden geben, sondern eine fundierte Ausbildung verlangen werden. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass der Lohn der Kindergartenlehrpersonen neu in den Fokus gerückt werden muss.