Freiwillige Tagesschulen unter den Erwartungen

An freiwillige schulbegleitende Angebote werden viele Erwartungen gestellt. Ein vom Schweizerischen Nationalfonds SNF unterstütztes Projekt zeigt, dass nicht alle erfüllt werden. Im Kurzinterview nennt Projektleiterin Marianne Schüpbach die wichtigsten Resultate und erklärt, wie sie zu deuten sind.

Frau Schüpbach, Sie haben in Ihrer Studie untersucht, wie es sich auf Kinder der ersten und zweiten Primarschule auswirkt, wenn sie eine freiwillige offene Tagesschule (Hort, Tagesstrukturen) besuchen. Zu welchen Erkenntnissen kam das Forschungsteam?
Eine dauerhafte Nutzung in den ersten beiden Schuljahren hat keine Wirkung auf die schulische Leistungsentwicklung. Hingegen hat sie in der Mathematikleistung einen kompensatorischen Effekt bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status. Im Lesen zeigten sich keine besseren Leistungen für sogenannte Risikokinder aus Familien mit Migrationshintergrund und mit niedrigem sozioökonomischem Status als bei der Vergleichsgruppe. Auch hinsichtlich des Sozialverhaltens, das positive Konsequenzen für andere Menschen hat, wurde kein Unterschied gefunden zwischen Kindern, die das Angebot nutzen, und den anderen. Bei Kindern, die in einer Gruppe mit vielen verhaltensauffälligen Kindern waren, nahm das störende Verhalten weniger stark ab, als in der Vergleichsgruppe. 


Weshalb profitieren die Kinder nicht stärker von diesen Strukturen?
Die pädagogische Qualität des Tagesschulangebots hat sich in den letzten knapp zehn Jahren geringfügig verbessert und ist von mittlerer bis guter Qualität. Tragende Elemente des Tagesschulangebots bleiben jedoch die Hausaufgabenbetreuung, das Mittagessen und das Zvieri. Untersucht wurde auch, welche Aktivitäten den Kindern im Angebot ermöglicht werden. Dabei wurde deutlich, dass das Freispiel, die freien Aktivitäten, in den Deutschschweizer Tagesschulen von grosser Bedeutung sind. Gezielte, geleitete pädagogische Aktivitäten gibt es allerdings nur wenige, zum Beispiel in den MINT-Fächern oder im Bereich Sprache. Das ist der Hauptunterschied zu Angeboten in anderen Ländern wie den USA, die kursorische, aktivierende, zielgerichtete und klar strukturierte Angebote haben und damit gezielt Sprache und Bereiche wie das Sozialverhalten fördern. Da besteht in den Deutschschweizer Tagesschulen noch viel Potenzial. In der Deutschschweiz sind die Tagesschulen eher auf Betreuung und weniger auf Bildung ausgerichtet.


Inwieweit lassen sich die Ergebnisse Ihrer Studie auf die Tagesschulen mit obligatorischen Angeboten (z.B. mit gebundenen Mittagen) übertragen?
In den untersuchten offenen Tagesschulen besuchen nur ein Teil der Schülerinnen und Schüler dieser Schule nebst dem Unterricht das Tagesschulangebot über Mittag oder am Nachmittag. In der gebundenen, auch obligatorischen Tagesschule genannt, wird der Unterricht und das Angebot von allen Schülerinnen und Schüler einer Schule oder einer bestimmten Klasse besucht. D.h. die Zusammensetzung der Schülerschaft, die ein Tagesschulangebot nutzt, kann dadurch unterschiedlich sein. Wie unsere Studie gezeigt hat, ist eine gute Durchmischung von Schülerinnen und Schülern anzustreben. Im Weiteren ist es bei einer gebundenen Tagesschule möglich, den Schultag für die gesamte Schülerschaft neu oder stärker zu rhythmisieren und auf den Rhythmus der Kinder anzupassen. Die Ergebnisse lassen sich nur teilweise übertragen.


Interview: Deborah Conversano

 

Weitere Informationen
Medienmitteilungen des Schweizerischen Nationalfonds vom 28. August 2017: Erwartungen an die Tagesschule sind zu gross

Datum

22.09.2017