Studien

Lehrpersonen macht ruppiges Klima zu schaffen

Zwei von drei Lehrpersonen haben psychische oder selten physische Gewalt erlebt. Dies ergibt eine repräsentative Umfrage des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Der LCH fordert Massnahmen. 

Dagmar Rösler (Präsidentin LCH), Beat A. Schwendimann (Leiter Pädagogik LCH) und Martina Brägger (Studienleiterin) informierten an der Medienkonferenz vom 16. Januar 2023 über die Resultate der Umfrage.

«Als Berufsverband ist es für uns ein wichtiges Ziel, dass die Schule ein gewalt- und angstfreier Raum ist und bleibt», sagte Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin LCH an der Medienkonferenz vom Montag. Präsentiert wurde eine Studie, die der LCH durchgeführt hat. Sie zeigt, dass Röslers Wunsch nicht für alle zutrifft: Zwei von drei Lehrpersonen haben in den letzten fünf Jahren mindestens eine Form von Gewalt erlebt. Die Studie mache bewusst, dass Handlungsbedarf bestehe, führte Rösler weiter aus. «Lehrerinnen und Lehrer sind stark exponierte Angestellte in einem öffentlich-rechtlichen Raum.» Gerade deshalb dürfe es auch bei Lehrpersonen nicht toleriert werden, dass sie Gewalt – egal welcher Art – ausgesetzt seien.

Umfrage unter 6700 Personen

Dass Lehrpersonen an Schulen Gewalt erleben, ist ein bekanntes Phänomen. Empirische Untersuchungen fehlten jedoch bislang. An der Umfrage, die der LCH zusammen mit dem Sozialforschungsbüro Brägger durchführte, nahmen 6700 Lehrpersonen und andere Fachpersonen aller Schulstufen aus der Deutschschweiz teil. Die Studie wurde im Sommer 2022 durchgeführt. Sie zeigt, welcher Art von Gewalt die Lehrpersonen ausgesetzt sind und von wem diese ausgeht.

Die gute Nachricht ist: «Extreme Formen von Gewalt wie Körperverletzung, sexuelle Übergriffe oder Angriffe mit Stich- und Schusswaffen sind sehr selten», sagte Studienleiterin Martina Brägger. Häufiger komme es zu psychischer Gewalt in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen oder Einschüchterungen. Am häufigsten geht die Gewalt von den Eltern der Schulkinder aus (36 Prozent der Fälle). An zweiter Stelle folgen Schülerinnen und Schüler der eigenen Klasse (34 Prozent). Danach geht die Gewalt am häufigsten von anderen Lernenden im Schulhaus aus (17 Prozent), gefolgt von anderen Lehrpersonen (15 Prozent) und der Schulleitung (11 Prozent). 

Beleidigt und bedroht

Die Studie unterscheidet vier Kategorien von Vorfällen: Psychische Gewalt, physische Gewalt, Gewalt gegen das Eigentum und sexuelle Gewalt. Am häufigsten kommt es zu psychischer Gewalt. 48 Prozent der befragten Lehrpersonen gaben an, innerhalb der letzten fünf Schuljahre verbal beleidigt oder beschimpft worden zu sein. 25 Prozent wurden bedroht oder eingeschüchtert, 21 Prozent erlebten auf schriftlichem Weg Beschimpfungen. 

Einige der Befragten führten in der Studie die Umstände dazu aus: «Schülerinnen haben jeden Tag mein Äusseres (…) begutachtet, beziehungsweise kommentiert und mit Blicken und Worten zu verstehen gegeben, wie schlimm sie dies finden», schreibt eine betroffene Lehrperson in der Umfrage. Eine andere schildert folgende Situation: «Bei einem Schulbesuch des Inspektors zog er bei einer Nachbesprechung meine Lektion, mein Verhalten dermassen ins Lächerliche und machte mich fertig. Ich verliess im Folgejahr die Stelle.»

Weitere 19 Prozent der befragten Lehrpersonen erlebten Mobbing in Form von Ausschluss oder Verleumdung durch Kolleginnen und Kollegen. So berichtete jemand: «Wenn ich ins Lehrerzimmer kam, haben alle aufgehört zu schwatzen. Das Thema wurde gewechselt. Mit mir wollte sich niemand mehr unterhalten.» Oder: «Infos wurden mit Absicht nicht weitergegeben, Gespräche mit Eltern wurden ohne mein Wissen abgemacht und durchgeführt, so dass ich dann dastand, als wollte ich nicht.»

Kündigung oder Jobwechsel

Die Studie ergab: Zwar werden alle Formen der psychischen Gewalt als emotional belastend erlebt, jedoch leiden Betroffene besonders, wenn diese von der Schulleitung oder Vorgesetzten ausgeht. Viele Betroffene entschliessen sich nach einem solchen Vorfall, die Schule zu wechseln oder aus dem Beruf auszusteigen. Öfter ist auch eine Krankschreibung oder Auszeit nötig. Geht die Gewalt jedoch von der eigenen Schülerschaft oder Eltern aus, kommt es nur in einzelnen Fällen zu derartigen Auswirkungen. Die Schulleitung wird in solchen Situationen zudem mehrheitlich als Unterstützung eingeschätzt.

Körperliche Gewalt erlebten 15 Prozent der Lehrpersonen, ein Prozent davon musste nach dem Vorfall ärztliche Hilfe einholen. Zu Verletzungen durch Waffen kam es in keinem Fall. 13 Prozent der Lehrpersonen berichteten von Diebstahl oder Beschädigung persönlicher Gegenstände. 5 Prozent erlebten verbale sexuelle Belästigung.

LCH fordert Support

Für Studienleiterin Martina Brägger ist klar: Gewalt könne jede Lehrperson treffen. Rechnet man die zwei Drittel der betroffenen Lehrpersonen hoch auf die Deutschschweiz, entspreche dies rund 65'000 potenziell betroffenen Lehrpersonen. Da die Studie zum ersten Mal durchgeführt wurde, lässt sich nichts zur Entwicklung sagen. Darum soll sie in fünf Jahren wiederholt werden. Beat Schwendimann, Leiter Pädagogik beim LCH, hält aber fest: «Für den LCH ist diese Situation besorgniserregend». Der Verband stellt darum sechs Forderungen, um die Situation zu verbessern (siehe Kommentar von Dagmar Rösler, Präsidentin LCH). 

Datum

16.01.2023

Autor
Caroline Kienberger

Publikation
Studien