Gewaltfreie Erziehung kommt ins Strafgesetz

Das Bundesparlament will gewaltfreie Erziehung ins Gesetz schreiben und eine gesetzliche Anerkennung der Gebärdensprache. Doch das brisanteste bildungspolitische Thema wurde vor der Wintersession lanciert.

Ein Mädchen schützt sich vor der Hand ihrer Mutter, die sie ohrfeigen will (gestelltes Bild). Foto: iStock/Boris Jovanovic

Die Schweiz kennt seit 1978 kein Recht auf Züchtigung mehr. Die Bundesverfassung schützt viel mehr im Artikel 11 die Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen. Hingegen sind Körperstrafen auch nicht ausdrücklich verboten. Dies kritisieren Kinderschutz- und Menschenrechtsorganisationen seit Jahren. Nun macht das Bundesparlament Druck. In der Wintersession hat nach dem Nationalrat auch der Ständerat einen Vorstoss von Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR) gutgeheissen. Das Parlament hat damit dem Bundesrat gegen dessen Willen den Auftrag erteilt, eine gewaltfreie Erziehung im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) zu verankern.
 
In der Schweiz erleben laut Bulliard-Marbach rund 130'000 Kinder in der Erziehung Gewalt. Der Grundsatz des besonderen Schutzes gehöre deshalb ins ZGB. Auch Ohrfeigen oder Klapse würden ein Kind erniedrigen und demütigen. Die UNO habe die Schweiz zudem schon zweimal gerügt, weil sie noch keine entsprechenden Schritte unternommen hat. Dies obwohl sie 1997 die UNO-Konvention für die Rechte des Kindes unterzeichnet hat.
 

Traurige Bilanz

Kommissionssprecherin Heidi Z'graggen (Mitte/UR) sprach von einer sehr traurigen Bilanz. In der Schweiz leide jedes fünfte Kind unter schwerer Gewalt, rund 1500 Kinder landeten deswegen jedes Jahr im Spital. Ein Gesetzesartikel schaffe Klarheit, habe eine hohe Signalwirkung und wirke sich positiv aus auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung. Sie ist überzeugt: «Damit werden Kinder vor Gewalt geschützt.»
 
Der Bundesrat wehrte sich. Laut Justizministerin Karin Keller-Sutter ist Gewalt gegen Kinder zu verurteilen. «Aber es braucht keine neue gesetzliche Regelung, das ist bereits heute verboten», findet sie. Der Bundesrat argumentiert, Kinder seien durch das Strafrecht sowie durch kürzlich ausgebaute Melderechte und Meldepflichten geschützt.
 

Gesetz für Gebärdensprache

Abschliessend entschieden hat das Bundesparlament zudem, dass die Gebärdensprache gesetzlich verankert wird. Im überwiesenen Vorstoss wird neben der Anerkennung und Förderung dreier Gebärdensprachen auch die Chancengleichheit in den Bereichen Information, Kommunikation, politische Mitwirkung, Dienstleistungen, Bildung, Arbeit, Kultur und Gesundheit betont.
 
Geschäfte mit einem bildungspolitischen Fokus waren an der am 16. Dezember zu Ende gegangenen Wintersession sonst kaum traktandiert. Im Zentrum standen die Ersatzwahlen für den Bundesrat. Um Bildungspolitik ging es kurz vor dem Start Session: Ende Oktober hat die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats beschlossen, einen Vorstoss einzureichen, der den prüfungsfreien Zugang an Hochschulen für Berufsmaturandinnen und -maturanden einführen will.
 
Explizit eingeschlossen sind dabei Pädagogische Hochschulen. Die WBK sieht darin eine Massnahme zur Linderung des Lehrpersonenmangels. Interessenorganisationen, darunter auch der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH, sind nicht einverstanden. Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin LCH, mahnte in Medienartikeln: «Der Berufsmatura fehlt die thematische Breite im Vergleich zur gymnasialen Matura oder zur Fachmatura mit pädagogischer Ausrichtung.»

Datum

19.12.2022

Autor
Christoph Aebischer