Standpunkt-Kolumne

Reallabor an der Schule Belp

Anstelle von fünf besuchen einige Belper Kinder ab kommendem Sommer nur noch an vier Tagen die Schule. Dafür haben sie anstatt dreizehn nur noch sechs Wochen Ferien. Für LCH-Präsidentin Dagmar Rösler zeigt dieser Versuch, die Stärken des Schweizer Bildungssystems auf.

Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Foto: Gion Pfander

Der Schulversuch in Belp (BE) verdient die grosse Aufmerksamkeit und Anerkennung, die er derzeit erhält. Dass eine öffentliche Volksschule den Mut aufbringt, die gewohnten Strukturen grundsätzlich umzubauen, ist alles andere als selbstverständlich. Obwohl unser föderalistisches Bildungssystem zuweilen auch Schwächen aufweist, sind es genau solche Experimentierräume, die dieses wieder stark machen.

Es ist wichtig, dass ein solcher Versuch nicht nur aus der Perspektive der Familien gedacht wird.

 

Denn Föderalismus ermöglicht Vielfalt, und Vielfalt ermöglicht Innovation. Belp nutzt diese Freiheit, um ein Modell zu erproben, das der Lebenswirklichkeit vieler Familien stärker entgegenkommen möchte: eine viertägige Schulwoche kombiniert mit einer deutlichen Reduktion der Ferienwochen für Schülerinnen und Schüler. Die Verantwortlichen nehmen damit eine Realität und auch ein Bedürfnis auf, die spürbar sind: Eltern jonglieren mit eigenen Arbeitszeiten, den Stundenplänen ihrer Kinder, Betreuungsangeboten und familiären Verpflichtungen. Eine kompaktere Schulwoche gepaart mit weniger Schulferien kann für manche Familien eine Entlastung darstellen.

Wie gehen Lehrpersonen damit um?

Es ist aber wichtig, dass ein solcher Versuch nicht nur aus der Perspektive der Familien gedacht wird, sondern auch die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Bei diesem Projekt muss genau hingeschaut werden, wie die Kinder mit dieser Verdichtung umgehen. Auch ist offen, wie sie mit der Halbierung der Ferienzeit klar kommen und ob das Versprechen des spielerischen Lernens und der lebensnahen Lerninhalte wirklich eingehalten werden kann.

Auch die Situation der Lehrpersonen darf nicht ausser Acht gelassen werden. Eine intensivere Schulwoche bedeutet eine höhere Dichte des Unterrichts, sowohl in der Vorbereitung als auch im Unterrichtsgeschehen. Wenn Schulen neue Wege beschreiten, müssen sie sicherstellen, dass die Lehrpersonen genügend Ressourcen und Zeitfenster erhalten, um qualitativ guten Unterricht zu gewährleisten.

Es sind noch viele Fragen offen: Was ist das Ziel dieses Pilotprojekts? Welche Faktoren sind entscheidend bei der Frage, ob es weitergeführt wird? Wem soll es vor allem dienen? Den Erziehungsberechtigten oder den Schülerinnen und Schülern?

Der Versuch in Belp ist deshalb kein fertiges Modell, sondern ein Reallabor. Genau das macht ihn wertvoll. Entscheidend wird sein, dass alle Beteiligten – Kinder, Eltern, Lehrpersonen – sorgfältig begleitet und die Resultate transparent ausgewertet werden. Nur so kann aus Mut auch fundierte Erkenntnis werden. Und daraus allenfalls ein zukunftsfähiges Schulmodell.

Der «Standpunkt» ist eine Kolumne der Geschäftsleitungsmitglieder des LCH. Die Aussagen geben die persönliche Meinung der einzelnen Autorinnen und Autoren wieder.

Datum

17.12.2025

Autor
Dagmar Rösler

Publikation
Standpunkte