Wer sein Kind nicht frühzeitig integriert, soll zahlen

Das Kantonsparlament Thurgau möchte, dass Eltern, die sich vor Schuleintritt zu wenig um die Integration ihrer Kinder bemühen, für Deutschunterricht oder Dolmetscher bei Elterngesprächen bezahlen müssen. Dafür hat es eine Motion verabschiedet, die den Regierungsrat mit einer Standesinitiative beauftragt. 

Der Artikel 19 der Bundesverfassung verlangt, dass der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht gewährleistet ist. Der Grosse Rat des Kantons Thurgau hat nun den Regierungsrat beauftragt, diesen Artikel der Bundesverfassung mittels einer Standesinitiative zu relativieren. Damit sollen fremdsprachige Eltern zur Kasse gebeten werden können, wenn sie die vorschulische Sprachförderung ihrer Kinder vernachlässigt haben. Man wolle Ausländer damit nicht generell abstrafen, zitiert der Tages-Anzeiger am 12. Februar den SVP-Kantonsrat und Schulleiter Urs Schrepfer. Mit dieser Massnahme sollen gemäss Schrepfer vermeidbare und folgenschwere Sprachdefizite der Kinder behoben werden.

Erster Versuch scheiterte
Eine Änderung des Thurgauer Volksschulgesetzes im Jahr 2015 hatte bereits ähnliche Konsequenzen. Das Parlament beschloss damals, Eltern zur Mitfinanzierung des Deutschunterrichts zu verpflichten, sollten ihre in der Schweiz geborenen Kinder beim Kindergarteneintritt die Landessprache noch nicht sprechen. Vier Privatpersonen gingen gegen diese Änderung vor und reichten beim Bundesgericht Klage ein. 2017 hat ihnen das Bundesgericht – mit Verweis auf Artikel 19 der Bundesverfassung – Recht gegeben. Dieses Urteil führte allerdings auch schweizweit dazu, dass Schulgemeinden nicht länger unbegrenzt Elternbeiträge für Klassenlager und Exkursionen verlangen konnten. 

Recht auf Bildung für alle
Der Tages-Anzeiger hat im Zuge seiner Berichterstattung die Meinung des Zentralpräsidenten LCH, Beat W. Zemp, eingeholt. Zwar erkennt er, dass mangelnde Sprachkenntnisse verbreitet sind und dass dies ein folgenreiches Versäumnis darstellt. Aber die Standesinitiative verstosse gleich zweifach gegen die Verfassung: «Schule muss unentgeltlich sein. Und niemand darf wegen seiner Sprache diskriminiert werden.» In der Verfassung werde schliesslich auch nicht geregelt, «mit welchen motorischen Kompetenzen ein Kind in die Schule kommen soll», so Zemp. Als Alternative weist der Tages-Anzeiger auf die Lösung des Kantons Basel-Stadt hin. Dort gibt es seit 2013 ein selektives Obligatorium «Deutsch vor dem Kindergarten». Dieses verpflichtet Eltern bei Förderbedarf gesetzlich dazu, ihr Kind an zwei Halbtagen pro Woche in die vorschulische Sprachspielgruppe zu schicken. Der Kanton übernimmt die Kosten, eine Busse gibt es dann, wenn die Eltern einen solchen Besuch verweigern. (pd/aw; Foto: thinkstock/marchmeena29)

Weitere Informationen
Eltern finanziell abzustrafen, ist der falsche Weg (Tages-Anzeiger, 12.02.2019)
Sprechen Kindergärtler schlecht Deutsch, sollen Eltern zahlen (Tages-Anzeiger, 12.02.2019)
Integrationsunwillige Ausländer sollen Sprachkurse ihrer Kinder bezahlen müssen (NZZ, 09.01.2019)
Kostenbeteiligung der Eltern nicht zulässig (Onlineredaktion LCH, 03.01.2018)


Kurzinterview in BILDUNG SCHWEIZ 2 | 2019
BILDUNG SCHWEIZ befragt in der Februar-Ausgabe Valentin Huber zum Thema unentgeltliche Schule. Der Sekundarlehrer und Jus-Student war eine der vier Privatpersonen, die beim Bundesgericht Klage gegen die Änderung des Volksschulgesetzes im Kanton Thurgau eingereicht hatten. Die Februar-Ausgabe wird am 19. Februar 2019 auf der Website des LCH aufgeschaltet. Das Interview kann bereits jetzt abgerufen werden.
Kindeswohl vor Ausländerpolitik (BILDUNG SCHWEIZ, 05.02.2019)

Datum

13.02.2019