06.
September 2023

«Der politischen Bildung müssen wir höchste Beachtung schenken»

Bundesrat Guy Parmelin eröffnete den Schweizer Bildungstag 2023. Die Ansprüche an die politische Bildung sind hoch. An der Fachtagung wurde aber rasch klar, dass sie noch in den Kinderschuhen steckt.

Am Bildungstag begrüsste Bundesrat Parmelin die Teilnehmenden mit einer Videoansprache. Fotos: Marc Renaud

Schweizer Schülerinnen und Schüler schneiden im Bereich des politischen Wissens eher schlecht ab. Dies zeigen die internationalen Vergleichsstudien International Civic and Citizenship Education Study (ICCS). Am Schweizer Bildungstag suchten am 1. September im Berner Kursaal rund 150 Fachleute Gründe dafür – und überlegten, was die Situation verbessern würde. Eingeladen hatten der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) und das Syndicat des Enseignant-es Romand-es (SER).

Die Messlatte legte zu Beginn der Veranstaltung in einer Videobotschaft Guy Parmelin, der im Bundesrat für die Bildung zuständig ist: «Der politischen Bildung müssen wir höchste Beachtung schenken.»

Debattenverbot als Steilpass

Weshalb also diese Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit? Rasch wurde klar: Die Definition ist unklar und die Umsetzung entsprechend schwierig. In der Praxis hat sogar jüngst der Waadtländer Bildungsdirektor Frédéric Borloz politische Debatten an Bildungseinrichtungen verboten. Er will so den Stimmenfang während des Wahlkampfs verhindern.

Diese Entscheidung griff Dagmar Rösler, Präsidentin LCH, gleich zu Beginn auf: «Das Verbot ist eine Steilvorlage für den Bildungstag.» Sie fragte fast schon rhetorisch: «Ist Debattieren nicht ein wichtiger Teil der Demokratie?»

Politische Bildung ist nicht gleich Staatskunde

Der Lehrplan 21 biete im Bereich der politischen Bildung viel Freiheiten, lasse aber auch vieles offen, sagte Monika Waldis, Leiterin des Zentrums für Demokratie Aarau, in einem Inputreferat. Themen wie Menschenrechte oder die Position der Schweiz in Europa seien optional.

«Politische Bildung ist momentan eine Weiterführung der bisherigen Staatskunde»

Monika Waldis

Waldis betonte, dass Jugendliche durchaus politische Bildung von der Schule erwarten. Der Unterricht fokussiere aber mehr auf theoretische Abläufe und abstrakte Prozesse. «Politische Bildung ist momentan eine Weiterführung der bisherigen Staatskunde», befand Waldis. Vieles hänge vom individuellen Engagement der Lehrerinnen und Lehrer ab.

Das politische Bildung bereits heute eine lange Entwicklung hintersich hat, machte der Professor für Bildungsforschung, Lucien Criblez, in einem zweiten Referat deutlich. Er zeigte auf, wie vor rund 200 Jahren der Katechismus die übliche Lernform war und Pflichten lehrten als Rechte.

Forderung der Lehrpersonenverbände

Die politische Bildung ist ungenügend im Unterricht verankert, davon sind auch die Veranstalter des Bildungstags überzeugt. In einer Medienmitteilung fordern LCH und SER, dass sie fächerübergreifend verankert und umgesetzt werden muss.

Zudem brauche es an eine einheitliche Definition. Das Verständnis von politischer Bildung sei noch zu heterogen und es fehle ein gemeinsamer Nenner. Ausserdem brauche es didaktische Konzepte, damit angehende Lehrpersonen stufengerecht Demokratiekompetenzen vermitteln könnten.

Zwischen Meinung und Fakten

Dass politische Bildung eine Aufgabe der Schule ist, war am Bildungstag unumstritten. Wie sie dies tun soll, darüber wurde an verschiedenen Workshops intensiv diskutiert.

In einem Workshop zeigte sich: Die Pflicht zur Neutralität beschäftigt viele Lehrpersonen – vor allem bei Themen und Positionen, die schnell eine politische Verortung zulassen. Der Workshopleiter Samuel Bärtschi, ein Lehrer aus Bern, riet dazu: «Nicht verunsichern lassen.» Wichtig sei, dass man beim Gespräch in der Klasse immer wieder zurück in eine ausgewogene Argumentation finde.

Woher die Zeit nehmen?

Der Bildungstag zeigte viele Aspekte auf, welche das Vermitteln der politischen Bildung beeinflussen. Im Plenum nach den Workshops kristallisierten sich unter den Teilnehmenden zwei Ansichten heraus. Demnach sprach sich ein Teil dafür aus, für politische Bildung gezielt Zeit oder gar ein eigenes Fach zu schaffen.

Ein anderer Teil hingegen befand, dass das nötige Wissen und die Kompetenzen in vielen Unterrichtssituationen geübt werden können. So war am Ende des Bildungstages klar: Politische Bildung braucht die Debatte – sie braucht aber auch Zeit. Verbote wie in der Waadt hingegen, sind kontraproduktiv.

Datum

06.09.2023

Autor
Patricia Dickson

Publikation
Aus dem LCH