07.
August 2025

Schulabsentismus: Ein Problem, das niemand allein lösen kann

Die Fälle von Schulabsentismus häufen sich – auch bei jüngeren Kindern. LCH und SER fordern, dass früher eingegriffen wird und alle Fachpersonen mit den Eltern an einem Strick ziehen.

LCH und SER stellen in Bern ihre Forderungen zur Bekämpfung des Schulabsentismus vor. Fotos: Marion Bernet

Das Kind will plötzlich nicht mehr zur Schule und nichts und niemand kann es zur Rückkehr bewegen. Es fürchtet sich vor den Kameraden, der Lehrerin oder einer vermeintlich blamablen Situation. Zwar gibt es keine nationalen Zahlen zu Schulabsentismus, aber laut mehreren Kantonen und Gemeinden handelt es sich um ein wachsendes Phänomen.

Was lässt sich dagegen tun? «Politik, Schulen, Eltern und Gesellschaft müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen», sagte Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), Anfang August an einer Medienkonferenz zum Start des neuen Schuljahrs in Bern. Mit dem Syndicat des Enseignantes et Enseignants de Suisse romande (SER) und der schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie (SKJP) setzte der Verband ein Zeichen gegen diese schleichende Entwicklung.

Rösler betont, dass Schulabsentismus viele Ursachen haben könne. Das mache es schwierig, frühe Anzeichen zu erkennen. Doch genau darauf komme es an. Um die Situation zu verbessern, brauche es neben gezielter Prävention auch eine Sensibilisierung aller Beteiligten. Denn niemand könne Schulabsentismus allein lösen, betonte Rösler und ergänzte: Für Lehrpersonen sei die Situation belastend. So habe ein LCH-Mitglied an der letzten Delegiertenversammlung eindringlich darum gebeten, dass man sich dem Thema annehme: «Wir kommen damit nicht klar», sagte er gegenüber Rösler.

SER-Präsident David Rey fügte hinzu: «Die Schule muss für die Schülerinnen und Schüler ein sicherer Ort bleiben – ein Ort des Wissens, der Chancengleichheit und der persönlichen Entfaltung.»

«3-6-Regel» bewährt sich

Die Rolle der Schule und der Lehrpersonen zeigte LCH-Vorstandsmitglied Sandra Locher Benguerel auf. Sie berichtete davon, wie eine Bündner Schule, wo sie als Klassenlehrerin unterrichtet, zu einem sozialen und angstfreien Raum werden soll.

Sie plädierte dafür, einen Verhaltenskodex, der mit den Kindern eingehend und vielfältig besprochen wird, zu etablieren. Als weitere präventive Massnahme empfahl sie die Vermittlung positiver Selbstbilder. So sollten Erfolgserlebnisse entstehen und Fortschritte gefeiert werden.

Und was ist zu tun, wenn eine Schülerin oder ein Schüler bereits zu Hause bleibt und nicht mehr zur Schule kommen will? Fachpsychologe Stephan Kälin (SKJP) betonte an der Medienkonferenz, dass es dann schnell gehen müsse. «Es darf keine Zeit zur Klärung der Verantwortlichkeiten verloren gehen, denn Schulabsentismus chronifiziert sehr schnell.» Dies könne bereits nach vier bis acht Wochen der Fall sein.

Um das Problem frühzeitig angehen zu können, riet Kälin zur sogenannten 3-6-Regel. Sie besagt, dass nach drei auf den ersten Blick voneinander unabhängigen Absenzen innerhalb von sechs Schulwochen Kontakt mit den Eltern aufgenommen werden und erste Abklärungen folgen sollen. «Mit dieser einfach zu merkenden Regel könnten sich Beteiligte früh genug vernetzen.» So bestehe eine realistische Chance, einen chronischen Absentismus abzuwenden.

Zudem hielt Kälin fest, dass Schulabsentismus vielfältige Ursachen habe. Diese aber stets mit Angst zu tun hätten. Und an Orte, an denen man Angst erfahre, gehe man schliesslich nicht gerne hin.

Sorgen bereiten Kälin im Übrigen nicht jene Schülerinnen und Schüler, die einfach einmal zu Hause bleiben. Dies habe man schliesslich auch früher manchmal gemacht. Mit Besorgnis erfüllen ihn eher Kindergartenkinder und Kinder der Unterstufe, die sich nicht mehr dazu bewegen liessen, in die Schule zu gehen.

Fünf Forderungen von LCH und SER

Schulabsentismus ist für die Schule eine Herausforderung. Um sie zu meistern, haben LCH und SER fünf Ansätze formuliert: Erstens fordern sie, dass in Schulen ein Frühwarnsystem eingeführt wird. Dabei sei es wichtig, Abwesenheiten von Schülerinnen und Schülern zu erheben. Auch sollte die Reaktion auf häufiges Fernbleiben geklärt werden. Zweitens sollen Lehrpersonen, Eltern und schulisches Fachpersonal so geschult werden, dass sie erste Warnzeichen erkennen können.

Drittens sei es zentral, dass die Bildungsverantwortlichen den Schulen Unterstützung bieten beim Aufbau von Strukturen und Abläufen zur Verhinderung von Schulabsentismus. Viertens trage ein kreativer und abwechslungsreicher Unterricht dazu bei, dass Kinder und Jugendliche ein positives Selbstbild entwickeln. Und fünftens sei eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Lehrperson und Kind zentral. Dies helfe dabei, bereits nach wenigen Absenzen ein offenes Gespräch zu führen.

Medienmitteilung, Fotos sowie die Redetexte aller Referentinnen und Referenten finden Sie hier.

Datum

07.08.2025

Autor
Alex Rudolf

Publikation
Aus dem LCH