ZUR BILDUNGSDEBATTE
Bildung und Polemik lassen sich nur schwer vereinbaren
Eifrig wird über die künftige Ausrichtung der Volksschule debattiert. Pauschalisierende Aussagen tragen aber nicht zur Lösung der zahlreichen Herausforderungen bei. LCH-Präsidentin Dagmar Rösler will verhindern, dass die Schule zum Spielball der Politik wird.
Zugegeben, in unseren Volksschulen läuft nicht immer alles rund. Sowohl Lehrpersonen als auch Schülerinnen und Schüler haben es manchmal schwer. Das eine oder andere ist in Schieflage geraten.
Zahlreiche Medien berichten über die Herausforderungen und das ist auch gut so. Das Bild, das ein NZZ-Autor in seinem Meinungsartikel von der Volksschule zeichnet, ist aber gar düster und zieht viele Bemühungen, die heute in der Schule gemacht werden, ins Lächerliche.
So schreibt er von einer technokratischen Elite, die Reformen austüftelt, von der Schule als Therapieanstalt oder bezeichnet die integrative Schule als ein Vorgaukeln von Fairness. Das ist zugespitzt. In einem Meinungsartikel ist dies Usus. Die Kehrseite davon ist, dass eine überzeichnete Darstellung der Realität zu einem polemischen Blick auf das Bildungswesen verleitet.
Bildung und Polemik lassen sich aber nur schwer vereinbaren. Denn die Herausforderungen, denen Lehrpersonen tagtäglich begegnen, sind sehr komplex. In der Regel gibt es darauf leider auch keine einfachen Antworten. Warum ist das so? Um die Schulkinder auf das Leben vorzubereiten, musste die Schule stets auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren und sich entsprechend anpassen. Das ist heute nicht anders. Die Gesellschaft wandelt sich stark und teils rasant - mit ihr muss sich auch die Schule verändern.
Lehrpersonen stehen im Spannungsfeld zwischen der individualisierten Förderung und der Förderung des Gemeinschaftssinnes.
So haben Eltern heute deutlich höhere Ansprüche. Sie verlangen, dass ihr Kind mit all seinen individuellen Bedürfnissen berücksichtigt wird. Gleichzeitig stehen Lehrpersonen im Spannungsfeld zwischen der individualisierten Förderung und der Förderung des Gemeinschaftssinnes. Weil unsere Gesellschaft vielfältiger wird, steigt auch die Heterogenität in den Schulklassen weiter an.
Ich will nicht leugnen, dass irgendwann ein Kipppunkt erreicht ist, bei dem zu viele verhaltensauffällige Kinder die Leistung der Klasse negativ beeinflussen. Darauf wird die Volksschule Antworten finden müssen, ohne dabei allerdings das Kind mit dem Bade auszukippen. Die Volksschule ist, wie der Name sagt, für alle da.
Schule muss nach vorne schauen
Tatsächlich eignet sich nicht jedes neue pädagogische Konzept für eine Umsetzung vor Ort, nicht jede progressive Idee ist im Schulalltag praktikabel. Aber die Schule hat den Auftrag, nach vorne zu schauen, Neues auszuprobieren, was sich nicht bewährt zu verwerfen und neue Ansätze zu suchen. Sonst wird sie dem Wandel, der um sie herum stattfindet, nicht gerecht.
Pauschalisierende Aussagen tragen nicht zur Lösung der zahlreichen Herausforderungen in den Schulen bei. Im Gegenteil, sie schaden dem Ruf der Volksschule. Öffentliche Kritik ist zwar zu weiten Teilen auf die Entscheidungsträger im Bildungswesen gemünzt und nimmt für sich in Anspruch, die Sache der Lehrpersonen zu vertreten. Doch sie trifft indirekt auch die Lehrpersonen, die täglich ihr Bestes geben.
Schulen brauchen Kraft und Spielraum
Obwohl uns die Schule alle etwas angeht und darum inhaltliche Auseinandersetzungen nötig sind, müssen wir verhindern, dass sie zum Spielball der Politik wird. Das würde den Zusammenhalt und damit das Funktionieren der Volksschule mit ihren rund einer Million Schülerinnen und Schülern sowie weit über 100'000 Lehr- und Fachpersonen tatsächlich gefährden.
Stattdessen braucht es in Absprache mit den Betroffenen eine Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen und wohlüberlegte Anpassungen, statt Hüst- und Hott. Als Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, LCH, ist es mir ein grosses Anliegen, dass vor allem auch das Personal an den Schulen ausgebildet und qualifiziert ist. Das gibt den Schulen gleichermassen Kraft und Spielraum, um zukunftsfähige Wege einzuschlagen.
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