Die Infoanlässe des Kantons Schwyz zum neuen Beurteilungsreglement sind schon alle gut gebucht. Offensichtlich ist die Neugier gross, was sich künftig in der Beurteilung der Schwyzer Volksschülerinnen und Volksschüler ändern wird. Im Vergleich zu heute ist dies einiges: Bis jetzt stellten die Lehrpersonen im Kanton Schwyz für einen Schullaufbahnentscheid alleine auf die Noten ab. Ab Sommer ist dies nicht mehr so. Für die Selektion nach der 6. Klasse werden neu nämlich nicht mehr nur die Noten ausschlaggebend sein. Das gilt auch für alle anderen Entscheide über die Schullaufbahn: Ob ein Kind eine Klasse repetiert oder überspringt oder später in der Sekundarschule das Profil wechselt, wird nur noch teilweise durch Noten bestimmt. Denn diese fliessen neu in eine Gesamtbeurteilung ein.
Theoretisch ist es künftig möglich, dass die eine Schülerin mit einer Fünf in den Hauptfächern nach der 6. Klasse in eine andere Stufe übertritt als ihre Freundin, die ebenfalls eine Fünf in den Hauptfächern aufweist. «Lehrpersonen sind Fachpersonen für das Lehren und Lernen. Sie können in einer Gesamtbeurteilung zum Beispiel sehr gut einschätzen, welches Zyklus-3-Profil für die Schülerinnen und Schüler geeignet ist oder auch, ob das Überspringen oder Repetieren einer Klasse Sinn macht», sagt Bruno Hauser, Leiter Abteilung Schulentwicklung- und betrieb beim Kanton Schwyz.
«Ob ein Kind eine Fünf locker erreicht oder dafür bereits am Limit läuft, kann in der Beurteilung für die Selektion eine Rolle spielen.»
Der Wert von Beobachtungen
Um beim Beispiel mit der Note Fünf zu bleiben: «Lehrpersonen wissen, welchen Aufwand Schülerinnen und Schüler für eine Note betreiben müssen. Ob ein Kind eine Fünf locker erreicht oder dafür bereits am Limit läuft, kann in der Beurteilung für die Selektion eine Rolle spielen. Die Ziffernote erhält künftig also eine andere Bedeutung. Sie ist als ein Bestandteil einer Gesamtbeurteilung zu verstehen», erläutert Hauser.
Nebst den vorliegenden Noten aus den Leistungstests und Prüfungen werden künftig Beobachtungen der Lehrpersonen in die Bewertung einfliessen. Lernprozesse oder die Erarbeitung von Lernprodukten, die den individuellen Fortschritt dokumentieren, werden also die Zeugnisnoten und letztendlich den Schullaufbahnentscheid beeinflussen. Das ist sogar Pflicht: Das neue Reglement erlaubt es den Lehrpersonen nicht mehr, den Schullaufbahnentscheid lediglich mit Noten zu begründen. «Dies würde einem allfälligen Rekurs von Eltern nicht standhalten», begründet Hauser. Neu müssen die Schwyzer Lehrpersonen zudem ein jährliches Standortgespräch mit den Eltern und den Schülerinnen und Schülern durchführen.
Anstoss zu diesen Neuerungen gab der Lehrplan 21. Dieser schreibt vor, Lernprozessen und der individuellen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler mehr Gewicht zu verleihen. «Dies war mit ein Grund, weshalb wir das Beurteilungsreglement anpassen wollten», bestätigt Hauser. Die neue Beurteilungspraxis und das bisherige Reglement hätten nicht mehr zusammengepasst.
«Grosse Chance»
Desirée Fahrni von der Pädagogischen Hochschule Schwyz sieht im neuen Beurteilungsreglement viel Potenzial. «Während des Unterrichts sowie in den jährlichen Standortgesprächen erhalten Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern fundierte und detaillierte Informationen über den Leistungsstand und die Leistungsentwicklung des Kindes. Dies sehe ich als grosse Chance», so Fahrni. Die Zeugnisnote beruhe künftig zudem auf einer ganzheitlichen Bilanzierung. «Es ist quasi das ‹Gutachten› aus Lernkontrollen, Lernprozess- und Lernproduktbewertungen.» Durch den Einbezug der unterschiedlich gewichteten Aspekte könne die Zeugnisnote breiter abgestützt werden.
Eine der wichtigsten Aufgaben dabei: Die Lehrpersonen müssen sowohl Zeugnisnoten wie Schullaufbahnentscheide nachvollziehbar dokumentieren und in einem Elterngespräch pädagogisch begründet darlegen können. Sinnvollerweise könnten sich die Lehrpersonen dabei auf ein Beurteilungskonzept der Schule stützen. «In diesem sollten Grundlagen zur Beurteilung und zum professionellen Ermessensentscheid festgelegt werden. Etwa in Bezug darauf, inwiefern die einzelnen Leistungsmessungen gewichtet werden», findet Fahrni.
Schwyz geht weiter als andere Kantone
Die Beurteilungskultur wird sich im Kanton Schwyz also ändern. In anderen Kantonen indes haben sich schon länger neue Beurteilungssysteme etabliert – die Entwicklung geht dabei überall in eine ähnliche Richtung. Im Kanton Bern etwa gehört das Standortgespräch zwischen Eltern und Lehrpersonen schon seit einigen Jahren dazu und auch im Kanton Zürich oder im Kanton Thurgau ist dies der Fall.
Sowohl die Selektionsentscheide nach der 6. Klasse wie auch die Zeugnisnoten werden in allen drei Kantonen zudem ebenfalls aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtungsweise gefällt beziehungsweise ausgestellt. Aber: Im Vergleich zum Kanton Bern und Kanton Zürich braucht es im Kanton Schwyz keine Einigung zwischen Eltern und Lehrpersonen, wenn die Meinungen bezüglich Schullaufbahnentscheid auseinandergehen. Im Kanton Schwyz entscheidet die Lehrperson abschliessend über den Schullaufbahnentscheid. «Dadurch wird die Fachexpertise der Lehrpersonen gestärkt», sagt Hauser.
Diskussionen um Noten bleiben
Die Einführung neuer Beurteilungssysteme heizt die Diskussionen rund um die Noten jeweils an. So geschehen im vergangenen Jahr im Kanton Zürich: Der Kantonsrat diskutierte über eine parlamentarische Initiative mit dem Titel «Kein Verzicht auf Schulnoten». Die Initianten befürchteten, Notenzeugnisse würden früher oder später definitiv abgeschafft. Die zuständige, kantonsrätliche Kommission befragte für die Debatte Dutzende Expertinnen und Experten zum Thema. Die Meinungen dazu fielen divers aus. Die Notenvergabe ist im Kanton Zürich seit da nun gesetzlich verankert.
«Noten spielen in vielen Firmen für das erste Selektionsverfahren bei einer Lehrstellenvergabe nach wie vor eine Rolle.»
Ausserhalb der Schulen etablieren sich allerdings im Stillen neue Beurteilungssysteme. Seit August vergangenen Jahres müssen Lehrstellenbewerberinnen- und bewerber der Swisscom kein Notenzeugnis mehr einreichen. «Mensch vor Dossier» nennt die Swisscom ihre neue Rekrutierungspraxis. Werden die Noten also künftig bei der Lehrstellensuche keine Rolle mehr spielen? Nicole Meier, Mitglied der Geschäftsleitung beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, sagt: «Noten spielen in vielen Firmen für das erste Selektionsverfahren bei einer Lehrstellenvergabe nach wie vor eine Rolle.» Aber: «Für nationale Firmen wie die Swisscom, die in allen Kantonen Lehrlinge rekrutiert, ist die Vergleichbarkeit der Noten schwierig geworden.» Dass die Swisscom deshalb ihre Rekrutierungspraxis angepasst habe, sei nachvollziehbar.
Eine breitflächige Abschaffung der Berücksichtigung von Noten bei der Lehrstellenvergabe sei jedoch nicht zu erwarten, sagt Meier. Aber auch keine Aufwertung derselben. «Der entscheidendste Faktor bei einer Lehrstellenvergabe ist nach wie vor das passende Zusammenspiel zwischen Betrieb und künftigem Lernenden», so Meier.
Das Verhältnis zu Noten und dem Thema Beurteilung ist also in der Politik, in der Wirtschaft wie aber auch bei Expertinnen, Eltern oder Lehrpersonen ganz verschieden. Dies wird wohl auch an den Informationsanlässen im Kanton Schwyz sichtbar werden.