Standpunkte

Schlagzeilen

Auf der kurzen Heimfahrt im Tram überfliege ich in einer Gratiszeitung die Schlagzeilen.

Bruno Rupp, Mitglied der Geschäftsleitung LCH

Gemäss Duden sind Schlagzeilen «durch große Buchstaben hervorgehobene, besonders auffällige Überschriften ...» und laut Wikipedia besteht die Aufgabe einer Schlagzeile darin, die Aufmerksamkeit eines flüchtig und selektiv lesenden Betrachters zu erreichen, ihn anzusprechen und auf den anschließenden Text zu leiten. Schlagzeilen und Überschriften sollen dem Leser helfen, zu selektieren, was ihn interessiert und was nicht.

Eine kleine Auswahl aus dem erwähnten Blatt zeigt, dass mir die Schlagzeilen wirklich helfen zu selektieren, was mich interessiert und was nicht; vor allem was nicht. Mir wird auch bewusst, wie viel Seltsames, Überflüssiges und Negatives mir angeboten wird. Und wie steht es mit dem Wahrheitsgehalt?

  • «Wegen Käse-Export geht die Schweizer Butter aus» – So ein Käse.
  • «Youtuber färbt die Haut seiner Freundin blau – und erzürnt Fans» – Der Freundin scheint es egal zu sein.
  • «Neuer Weltrekord: Extremsportler sitzt 2,5 Stunden im Eiskasten» – Mit gefrorenem Gehirn lässt sich schlecht denken.
  • «Schockierendes Geständnis: Schweizer Stabhochspringerin spricht über ihre Essstörung» – Sorry, schockiert mich nicht.
  • «Bratwurst und Cervelat: Schweizer assen während Lockdown 20 Prozent mehr Würste» – Gut für die Metzger; kann aber zu Essstörungen führen.
  • «Diese 7 Lebensmittel solltest du nicht auf leeren Magen essen» – Wenn das die Stabhochspringerin gewusst hätte.
  • «Der meistverkaufte Whisky kommt NICHT aus Schottland» – Habe ich ja auch nie behauptet.
  • «Laut Donald Trump leben Österreicher im Wald und kehren den Waldboden» – Er ist wohl der einzige Mensch, der über dieses Wissen verfügt.

Ich steige an meiner Haltestelle aus; keine der Schlagzeilen hat mich zum Weiterlesen bewegt. In meinem Briefkasten finde ich meine Tageszeitung und lese prominent auf der Titelseite: «Immer mehr Schüler wollen zweisprachigen Unterricht. Die Nachfrage in den Schulen ist deutlich höher als das Angebot. Nun bildet die Pädagogische Hochschule mehr zweisprachige Lehrkräfte aus». Mein Interesse ist sofort geweckt, ich beginne schon im Treppenhaus weiterzulesen. Die (Zeitungs-)Welt ist für mich wieder ein kleines bisschen mehr in Ordnung.

Datum

29.09.2020

Autor
Bruno Rupp

Publikation
Standpunkte