Standpunkte

Tippen sie schon oder schreiben sie noch?

Ich mag die Zeit zwischen den Jahren. Ihnen wohnt ein besonderer Zauber inne. Alles ist still und ruhig, gelebte Entschleunigung. Und es ist auch die Zeit der neuen Agenda.

So sehr ich viele technische Hilfsmittel oft und gerne nutze, führe ich in einer Zeit, in der kein Text und keine Diskussion ohne das Wort «Digitalisierung» auskommt, eine Papieragenda. Beim Kauf wurde sie sorgfältig ausgewählt, schliesslich müssen Termineinteilung, Schriftfarbe und Format genauestens stimmen – immerhin trage ich sie ein Jahr lang ständig bei mir und brauche sie mehrmals täglich.

Über die Jahre wurden sie grösser und dicker, aber sie sind noch immer das, was sie schon immer waren: ein Sammelsurium an Notizen und Informationen über Geburts- und Jahrestage, Telefonnummern, Adressen und natürlich – voller Termine. Nicht zu vergessen die eingelegte, gefaltete To-do-Liste. Hin und wieder, in ganz hektischen Zeiten, klebt auch noch ein weisses Post-it auf dem Deckel.

So setzte ich mich also Ende Jahr mit einem Glas Wein hin, blätterte noch einmal die Agenda des vergangenen Jahres durch, erinnerte mich an viele Momente und übertrug dann die anstehenden Termine sorgfältig in die neue Agenda. Zum Schluss kommt die alte Agenda jeweils in eine spezielle Kiste in meinem Büro zu den anderen ausgedienten Agenden. Mittlerweile sind es 36. Ja, ein bisschen Sentimentalität darf doch in dieser Zeit sein, oder? Ich stelle mir dann vor, wie ich in ferner Zukunft im Lehnstuhl im Seniorinnenheim sitzend in meinen alten Papieragenden wühle und in Erinnerungen schwelge.

Rituale beginnen selten als Rituale, sie entwickeln sich durch das immer gleiche Tun. Dieser Agendawechsel hat sich ritualisiert und das wird auch so bleiben. Obschon wir ja alle nicht so genau wissen, was uns in der nächsten Zeit mit der fortschreitenden digitalen Transformation erwartet. Zwei Dinge weiss ich mit Sicherheit: Studien geben meiner Erfahrung bezüglich Handschrift recht und ich bin froh, dass die gute, alte Schnürlischrift aus dem Lehrplan verschwunden ist. Es war für viele Kinder eine Überforderung, in der ersten Klasse die Druckschrift und bereits ein Jahr später die verbundene Schrift zu lernen. Es macht grossen Sinn, nur noch Schnörkel- und Schlaufenfreie Druckbuchstaben zu lernen. Dass Kinder eine Handschrift lernen und nicht nur tippen und berühren ist sehr wichtig. Studien zeigen, dass beim Schreiben mit der Hand mehr Hirnregionen aktiv sind als beim Tippen und dass sich das, was man von Hand schreibt, besser einprägt. Diese Studienergebnisse decken sich mit meiner Erfahrung, sowohl als Lehrerin als auch als Privatperson. Die Resultate belegen weiter, dass das Schreiben mit der Hand den Erstleseprozess positiv unterstützt und man sich an Handgeschriebenes besser erinnert. Ich selbst habe all meine Termine mehr oder weniger im Kopf, wohl deshalb, weil ich sie liebevoll in meine Agenda eintrage und sie immer vor Augen habe. Meine seitenweisen, handgeschriebenen Notizen während Sitzungen helfen mir zudem, Inhalte länger zu speichern.

Eine individuelle Handschrift braucht Übung. Offenbar ist meine eigene Handschrift deshalb nicht mehr immer nur gut leserlich, weil auch ich selbstverständlich heute viel weniger von Hand schreibe als früher. Aber ich pflege bewusst eine Schönschrift, beispielsweise für Geburtstagskarten. Auch in der Schule übe ich mit den Kindern immer wieder die Sonntagsschrift für besondere Anlässe. Nennen Sie mich altmodisch, aber offenbar geht es nicht nur mir so. Ein Trend etabliert sich gerade: Handlettering. Speisekarten und Preisschilder werden in Schnörkelschrift beschriftet, oft mit Kreide auf Schiefertafeln.

Ja, daran wird auch die Digitalisierung nichts ändern: Auf jeden Trend entsteht ein Gegentrend, es braucht ein ständiges Austarieren zwischen Altem, Bewährtem und Neuem, Innovativem. In diesem Spannungsfeld bewegen Sie und ich uns täglich. Die vielen Termine in der Agenda werden sich mit Inhalt füllen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen beste Gesundheit, viel Energie und gutes Gelingen im neuen Jahr!

Datum

09.01.2018

Autor
Marion Heidelberger

Publikation
Standpunkte