Als die Schulen geschlossen waren, lernten Jugendliche weniger lang

Forschende sind sich über die Folgen des Fernunterrichts uneins. Während eine Lausanner Studie Ausgleichsmassnahmen empfiehlt, relativiert Bildungsökonom Stefan Wolter. Für die Volksschule gibt er gar Entwarnung.

Im Frühjahr 2020 blieben Volksschulen zehn Wochen zu, Mittelschulen etwas länger. Hörsäle öffneten sogar erst diesen Herbst wieder. Foto: iStock/asbe

Jugendliche büffelten in der Zeit, als die Schulen geschlossen waren, ein Drittel weniger als vorher. Am stärksten betroffen waren 14- bis 19-Jährige. Diese Ergebnisse legte diesen Herbst eine Schweizer Studie vor, die auf Befragungen von 14- bis 25-Jährigen basiert. Jugendliche mit gut ausgebildeten Eltern reduzierten interessanterweise die investierten Stunden pro Woche stärker, als solche aus einem bildungsfernen Umfeld. Weil sie vorher aber überdurchschnittlich lange über dem Lernstoff gebrütet hatten, ist die Reduktion relativ gesehen nicht höher als bei letzteren.

Verkürzte Ferien und Nachhilfeangebote

Für die Studienautoren der Universität Lausanne ist der festgestellte Verlust an Lernzeit «drastisch» und gibt Anlass zur Besorgnis. Man werde sich auf eine Gruppe Studierende mit weniger hohem Wissen einstellen müssen. Oder, und das empfehlen sie, man investiere jetzt gezielt Zeit und Energie, um die entstandenen Lücken zu schliessen. Sie schlagen etwa vor, die unterrichtsfreie Zeit beziehungsweise die Ferien zu verkürzen oder spezifische Nachhilfe anzubieten. Studierende an Hochschulen haben ihre Lernzeit weniger heruntergefahren, obwohl ihre Institutionen länger geschlossen waren. Die Autoren vermuten, dass sie eher gewohnt sind, selbstständig zu arbeiten und Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen.

Wolter: «Bildungskarriere ist nicht gefährdet»

Nicht bewahrheitet haben sich die Warnungen aus Forscherkreisen, dass Lehrlinge besonders betroffen sein würden, weil das Angebot an Lehrstellen einbrechen werde. Stefan Wolter, Bildungsökonom und Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung, erläuterte am 12. Oktober in der NZZ die Gründe: Die eben erlebte Krise unterscheide sich von anderen Wirtschaftskrisen dadurch, dass der Staat stark unterstützend eingegriffen habe.

Er geht davon aus, dass die Folgen der Schulschliessungen je nach Bildungsstufe zwar unterschiedlich sein werden. Für die Primarschule und die Sekundarstufe I, wo die Schulen rund zwei Monate geschlossen waren, sieht er jedoch kaum Schwierigkeiten: «Ein paar Wochen Fernunterricht und ein paar Wochen Maskentragen im Unterricht zerstören keine Bildungskarriere», sagte er gegenüber der NZZ. Dies legten die jährlich durchgeführten Checks in der Nordwestschweiz nahe: Die Testleistungen von 2020 würden sich nicht von jenen derselben Stufe im Vorjahr unterscheiden, sagte er auf Nachfrage gegenüber BILDUNG SCHWEIZ. Zum Glück seien die Schulen kein zweites Mal geschlossen worden.

Konsequenzen werden erst später deutlich

Für angehende Berufsleute und Studierende präsentiert sich die Situation laut Wolter deshalb etwas anders. Sie mussten je nach Branche und Ausbildungsgang viel länger zu Hause ausharren. Hochschulen kehrten sogar erst diesen Herbst zögerlich zum Präsenzunterricht zurück. Möglich sei aber durchaus, dass viele daheim sogar effizienter gelernt hätten oder einen Rückstand nun aufholen könnten. Wer das nicht schafft, hat hingegen unter Umständen ein Problem. Ob sich das statistisch niederschlägt, kann Wolter nicht sagen: «Da werden wir – wenn überhaupt je – die Konsequenzen erst viel später abschätzen können.»

Datum

18.10.2021

Autor
Christoph Aebischer