Schwimmenlernen im See statt im Hallenbad

Die grosse Mehrzahl der tödlichen Wasserunfälle passiert in der Schweiz in offenen Gewässern. Die Schweizerische Lebensrettungsgesellschaft (SLRG) setzt auf Prävention und Angebote vor Ort. Reto Abächerli, Geschäftsführer der SLRG, erläutert, weshalb neu Kurse im See angeboten werden. 
 

Reto Abächerli. Foto: SLRG

In der Coronapandemie musste der Schwimmunterricht teilweise notgedrungen ausgesetzt werden. Hat das Folgen?

Uns ist bekannt, dass in den letzten knapp 18 Monaten aufgrund der Pandemie der Schwimm- und Wassersicherheitsunterricht mancherorts nicht wie geplant stattfinden konnte. Es gibt hier von Gemeinde zu Gemeinde wesentliche Unterschiede. Über die Folgen des ausgefallenen Unterrichts kann man nur spekulieren. Belastbare Aussagen sind hingegen kaum möglich. Wurde der ausgefallene Unterricht nachgeholt? Haben Eltern als Kompensation mehr in das Thema – beispielsweise in der Freizeit – investiert? Wurden oder werden als Kompensation mehr private Schwimmkurse besucht? Wir wissen es nicht.
 
Was wir beobachten: Das Unfallgeschehen im vergangenen und in diesem Sommer ist nicht ausserordentlich. Wir vermuten aber auch, dass sich wesentliche Änderungen im vielfältigen Ertrinkungspräventions-«System» jeweils erst mit einer zeitlichen Verzögerung zeigen. Die Forschung zeigt, dass in der Prävention jeweils nicht eine einzelne, sondern ein vielfältiger Strauss an Massnahmen zum nachhaltigen Erfolg führt.

In einem Pilotkurs haben in Hochdorf (LU) Schülerinnen und Schüler im See schwimmen gelernt. Inzwischen gehört der Kurs zum regulären Angebot. Was bringt es konkret, im See schwimmen zu lernen? 

Über 90 Prozent aller tödlichen Ertrinkungsunfälle in der Schweiz ereignen sich in Seen und Flüssen. In Pools gibt es – glücklicherweise – kaum tödliche Unfälle. Sich sicher im und auf dem See zu bewegen, bedarf weiterführenderer Kompetenzen als der Aufenthalt in einem Pool. Diese Kompetenzen müssen erworben werden. Als Beispiel sind der Umgang respektive die Einschätzung der wechselnden Bedingungen zu nennen wie Wassertemperaturen, Wetter, Wellen, Strömung in einem Fluss, Wassertrübung und weitere. Im Pool gibt es dies alles nicht. Der Umgang hiermit muss erfahren werden. Dafür muss man an den See, an den Fluss.

Dieses Jahr bietet der SLRG erstmals zwei Kurse im See für Lehrpersonen an. Was erhofft sich der SLRG von dem neuen Angebot?

Mit einer Klasse an den See oder gar an den Fluss zu gehen, ist eine grosse Verantwortung. Wir wollen Lehrpersonen die Möglichkeit bieten, sich die dafür notwendigen Kompetenzen anzueignen. Das Thema «Sicherheit» geniesst in diesem neuen Angebot natürlich eine sehr hohe Priorität. Im Zentrum steht die Frage, was ich als Lehrperson vor und während dem Unterricht oder dem Ausflug in oder an den See tun kann, damit keine Unfälle geschehen. Im neuen Angebot geben Fachpersonen der SLRG, die selber als (Schwimm-)Lehrpersonen arbeiten, ihre Erfahrungen weiter.

Sollen diese Kurse ebenfalls in das reguläre Angebot überführt und allenfalls in anderen Regionen angeboten werden? Wenn ja, wovon hängt das ab?

Die SLRG arbeitet bereits seit längerem konsequent daran, dass die Kursangebote zielgruppenspezifischer werden. Solche Entwicklungen brauchen Zeit. Das aktuelle Angebot ist in diesem Zusammenhang zu betrachten. Es hat den Charakter eines Pilotkurses. Bewährt sich das Angebot, werden wir es sicher weiterführen. Um dann auch eine Vielzahl von Lehrpersonen erreichen zu können, müssten wir in einem nächsten Schritt den Kreis geeigneter Kursleitender zum Thema «Schwimm- und Wassersicherheitsunterricht im offenen Gewässer» erweitern. Dies dürfte letztendlich der Flaschenhals sein.

Datum

16.08.2021

Autor
Deborah Conversano