Wie viel Integration beziehungsweise Inklusion verträgt die Schule? Diese Frage beschäftigt Lehrpersonen seit vielen Jahren. 2007 hat der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH mit Vorbehalten das Sonderpädagogik-Konkordat unterstützt. Darin wird das Ziel formuliert, Kinder mit besonderen Bedürfnissen nicht mehr separat, sondern in Regelklassen zu unterrichten. 2010 verabschiedete der LCH dazu ein Positionspapier. Nach zwölf Jahren soll es nun erneuert werden. Darin waren sich die Präsidentinnen und Präsidenten der kantonalen Sektionen an der Konferenz in St. Gallen einig. Doch die Vorbehalte wurden nicht kleiner. Das war in der Diskussion zum erneuerten Positionspapier unüberhörbar.
Mittlerweile haben Lehrpersonen viele Erfahrungen mit der Integration der Sonderpädagogik in die Regelschulen gesammelt. «Die Integration ist eine der grössten Belastungen für Lehrpersonen», sagte Philipp Loretz, Präsident des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB). Er stützte sich dabei auf eine Befragung, die der LVB durchgeführt hatte. Diese zeige: Für Klassenlehrpersonen sei diese Unterrichtsform ohne zusätzliche Ressourcen nicht leistbar.
Initiative für Förderklassen
In Basel-Stadt, einem Vorreiterkanton in der Integration, hat sich ebenfalls Ernüchterung ausgebreitet. Dort will eine Volksinitiative die Förderklassen wieder einführen. Lanciert wurde die Initiave von der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt (FSS). Die Vorbehalte sind mittlerweile durch erste Forschungsarbeiten belegt. Eine Studie, die letztes Jahr den Bildungsforschungspreis gewann, kam zum Schluss: Ein Anteil von mehr als 15 bis 20 Prozent an Kindern mit besonderen Bedürfnissen senkt die Testergebnisse der restlichen Klasse.
Zu reden gab auch das Ersetzen des Begriffs Integration durch Inklusion. Das Autorenteam Beat A. Schwendimann und Dorothee Miyoshi, beide Mitglied der Geschäftsleitung LCH, schlugen eine Anpassung an international gängige Begriffe vor. Andere wiesen auf die unterschiedliche Bedeutung der Begriffe im Schweizer Kontext hin. «Inklusion schliesst separative Settings quasi aus», sagte Marianne Schwegler von der FFS.
Anne Varenne, Präsidentin von Bildung Thurgau, kritisierte zudem: Klassenlehrpersonen seien stark involviert in den integrativen Unterricht. Dem trage der aktuelle Wortlaut des Papiers zu wenig Rechnung. Die beiden Vertretungen der Verbände Baselland und Basel-Stadt stellten einen Rückweisungsantrag. Das Papier wurde daraufhin vom Autorenteam zur Überarbeitung zurückgezogen. Es soll nun an der nächsten Konferenz im Frühling abschliessend diskutiert werden. Einig waren sich die Anwesenden darin, dass integrativer Unterricht nur mit genügend zeitlichen und finanziellen Ressourcen zu bewältigen ist. (ca/ck)