Zur Durchlässigkeit

Ungleichheit wird zementiert

Wie gerecht ist unser Bildungssystem? Antoinette Killias, LCH-Geschäftsführerin, plädiert in ihrer Kolumne dafür, die Auswirkungen verschiedener Schulmodelle unter diesem Blickwinkel zu prüfen.

Antoinette Killias, Geschäftsführerin LCH. Foto: Gion Pfander

Historisch betrachtet fusst unser Schulsystem auf einer Dreiklassengesellschaft. Die Bauern besuchten früher die Realschule, die Bürgerlichen die Sekundarschule. Die Elite, die es sich leisten konnte, schickte ihren Nachwuchs ans Gymnasium. Manche mögen nun einwenden, diese Zustände seien längst Vergangenheit. Doch, stimmt das wirklich?

Zahlen zeigen etwas anderes. So betrug die Gymiquote in Gemeinden der reichen Zürcher Goldküste wie Erlenbach, Küsnacht und Zollikon 2023 knapp 50 Prozent. Die nur wenige Kilometer entfernte einstige Arbeiterstadt Schlieren kommt auf einen Wert von gerade mal 7,6 Prozent.

Nur 3,5 Prozent wechseln

Klar können heute auch Kinder aus ärmeren Familien das Gymnasium besuchen, doch sind die Hürden für sie höher. Neben Familienbudgets, die bei einer Lehre durch einen Lehrlingslohn entlastet würden, haben weniger betuchte Familien oftmals weder Zeit noch Geld für die gezielte Förderung ihrer Kinder.

Hinzu kommen Hürden, die das Schulsystem bereithält. Etwa die Selektion beim Übertritt in die Sekundarstufe I und die darauffolgende, geringe Durchlässigkeit von lediglich 3,5 Prozent zwischen den Niveaus. Auf diese Weise zementiert unser Bildungssystem soziale Ungleichheit.

Die Bildungsdirektorinnen und -direktoren täten gut daran, sich diese Modelle genauer anzuschauen.

 

Wie lässt sich sicherstellen, dass Kinder ungeachtet ihrer sozialen Stellung, das Bildungsangebot erhalten, für das sie sich eignen? Erstens muss die individuelle Unterstützung gefördert und ausgebaut werden. Nur so wird sozioökonomischen Unterschieden Rechnung getragen. Zweitens spielen auch die Schulmodelle eine grosse Rolle. Obwohl ein Vergleich der Bildungswege und -chancen in der Schweiz schwierig ist, zeigen gewisse Kantone, wo der Weg hinführen könnte.

In Bern gibt es Stammklassen mit Niveaugruppen und das Tessin verzichtet beim Übertritt in die Oberstufe auf eine Selektion. Zudem läuft im Tessin ein Pilotprojekt mit Stammklassen. Dabei sind in den Fächern Mathematik und Deutsch jeweils zwei Lehrpersonen anwesend. Die Bildungsdirektorinnen und -direktoren täten gut daran, sich diese Modelle genauer anzuschauen.

Hoffentlich wird Vergleich möglich

Die Frage, welches Schulmodell am gerechtesten ist, wird die Forschung noch lange beschäftigen. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind zu gross, ein Vergleich der Schulmodelle unter Berücksichtigung der sozioökonomischen Bedingungen gibt es noch nicht. Es bleibt zu hoffen, dass ein solcher Vergleich irgendwann in Zukunft möglich sein wird. Damit die Unterschiede zwischen der Goldküste und Schlieren kleiner werden.

Der «Standpunkt» ist eine monatliche Kolumne der Geschäftsleitungsmitglieder des LCH. Die Aussagen geben die persönliche Meinung der einzelnen Autorinnen und Autoren wieder.

In der April-Ausgabe von BILDUNG SCHWEIZ erschien ein Artikel zum Thema Durchlässigkeit auf der Sekundarstufe I.

Datum

18.03.2025

Autor
Antoinette Killias

Publikation
Standpunkte