BILDUNGSFORSCHUNG

Was bedeutet eigentlich Bildungsqualität?

Schülerinnen und Schüler sollen eine qualitätsvolle Bildung erhalten. Was darunter verstanden wird, ist aber nicht so klar, schreibt der Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogik LCH. Eine Spurensuche.

Foto: iStock/UgurKarakoc

In den Kantonen Aargau und Bern reichten im vergangenen Jahr die lokalen Lehrerinnen- und Lehrerverbände Volksinitiativen ein, die den Begriff Bildungsqualität in den Kantonsverfassungen verankern wollen. Doch was bedeutet der Begriff eigentlich in Bezug auf die Schule? Es gibt keine allgemeingültige Definition. Je nach Perspektive sind andere Aspekte wichtig. Geht es nun um die Gestaltung der Schulstruktur, die Definition von Bildungsstandards, die Inhalte des Lehrplans oder die Qualifikation von Lehrpersonen? Ist Bildung gut, wenn sie der Persönlichkeitsentwicklung dient oder nur, wenn sie unmittelbar dem Arbeitsmarkt hilft?

Der Wandel des Bildungsbegriffs

Ohne einen kurzen Exkurs zum Bildungsbegriff lässt sich jener der Bildungsqualität nicht fassen. Bildung wird in der Bildungsforschung sowohl für den Vorgang (sich bilden, gebildet werden) wie auch für den Zustand (gebildet sein) verwendet. Lange galt sie als Ergebnis formaler Schulbildung und höhere Bildung war nur für das Bürgertum zugänglich. Im 19. Jahrhundert verstand der Philosoph Wilhelm von Humboldt die Bildung dann als Entwicklungsprozess aller Menschen, unabhängig der Herkunft. Später sah der Bildungsphilosoph John Dewey Bildung als erfahrungsbasierten Prozess und demokratisches Engagement, während der Reformpädagoge Paulo Freire sie als Mittel zur Emanzipation und zur Entwicklung eines kritischen Bewusstseins betrachtete. Heute umfasst Bildung neben Wissen auch Kompetenzen wie Problemlösungsfähigkeit, Kreativität und soziale Fähigkeiten. Sie wird als lebenslanger Prozess verstanden.

Ist Bildungsqualität messbar?

Je nach Perspektive werden die Bildung und ihre Qualität heute unterschiedlich definiert. Individuell stehen dabei Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung im Fokus, während man gesellschaftlich Wert auf Zusammenhalt und Demokratie legt. Ökonomisch wiederum geht es um die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt, im Sinne einer zweckgebundenen Aus- beziehungsweise Berufsbildung. Eng verbunden mit der Bildungsqualität ist auch die Chancengerechtigkeit. Alle Schülerinnen und Schüler sollten unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund Bildungserfolge erzielen können.

Standardisierte Tests wie Pisa oder die Überprüfung der Grundkompetenzen (ÜGK) erfassen nicht unbedingt Aspekte wie Kreativität und kritisches Denken.

Die Messung von Bildungsqualität ist komplex und abhängig von der Perspektive. Messbare Parameter sind in den letzten Jahren wichtiger geworden. Sie sollen die Güte des Bildungssystems wiedergeben. Standardisierte Tests wie Pisa oder die Überprüfung der Grundkompetenzen (ÜGK) liefern dafür zwar Daten, erfassen aber zum Beispiel nicht unbedingt Aspekte wie Kreativität und kritisches Denken, warnen Kritikerinnen und Kritiker.

Neben quantitativen Erhebungen sind ausserdem qualitative Aspekte wichtig: Die Zufriedenheit der Lernenden, ihr Verhältnis zu den Lehrpersonen, deren Berufszufriedenheit und das Schulklima beeinflussen die Bildungsqualität massgeblich. Für eine umfassende Messung sollten daher quantitative sowie qualitative Faktoren berücksichtigt werden.

Gemeinsames Verständnis fehlt

Auch wenn eine einheitliche Definition fehlt und die Messbarkeit schwierig ist: Ein gemeinsames Verständnis von Bildungsqualität wäre für Lehrpersonen und Bildungsträger essenziell. Nur so lassen sich Bildungsprozesse und Strukturen effektiv auf ein gemeinsames Ziel hin gestalten. Der Bildungsbegriff ist allerdings dynamischen Prozessen unterworfen, die ständige Reflexion und Weiterentwicklung erfordern. Das System muss flexibel sein und sich gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. Dabei sind die Offenheit für Innovationen und die Bereitschaft der Akteure im Bildungswesen zur Zusammenarbeit zentral. Bildungsqualität erfordert kontinuierliche Anpassung, um dem Individuum und der Gesellschaft gerecht zu werden.

Das ist das Umfeld, in denen sich die Volksinitiativen bewegen, die im Rahmen des Aktionsplans Bildungsqualität des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz entstanden sind. Der Fokus der aktuellen Initiativtexte liegt auf genügend Fachpersonal, das gut ausgebildet ist und für seinen Auftrag auch genügend Zeit hat.

Zur Person

Beat A. Schwendimann ist Leiter Pädagogik beim Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). Auf LCH.ch schreibt er für die Rubrik Bildungsforschung über aktuelle Studien und darüber, was die Erkenntnisse für Schule und Bildung bedeuten.

Weiter im Netz

Aktionsplan Bildungsqualität: bildungsqualitaet-sichern.ch

Datum

03.01.2025

Autor
Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogik LCH

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