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Kommentar

Sek II gehört zu einer zeitgemässen Grundbildung

Das Recht auf Grundschulunterricht ist in der Bundesverfassung verankert. Die geltende Interpretation wird den heutigen Anforderungen des Arbeitsmarktes jedoch nicht mehr gerecht. Es braucht ein Umdenken.

Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle LCH

Die Schweizer Bundesverfassung enthält im Artikel 19 den kurzen, aber sehr bedeutsamen Eintrag «Der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht ist gewährleistet». Der Artikel lässt jedoch drei wichtige Fragen unbeantwortet. Erstens: Was bedeutet «ausreichend»? Zweitens: Was heisst «unentgeltlich»? Und drittens: Was ist mit «Grundschulunterricht» überhaupt gemeint?

Grundschulbildung neu definieren

Zunächst zum Grundschulunterricht. Momentan interpretieren die meisten Kantone den Grundschulunterricht als die drei Zyklen der Volksschule, vom Kindergarten bis zum Ende der Sekundarschule I. Jugendliche haben heute ohne Sek-II-Abschluss aber kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

Als Grundschulbildung sollte daher ein Abschluss auf Sekundarstufe II gelten. Dies zeigt sich auch darin, dass die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) zum Ziel erklärt haben, dass 95 Prozent aller 25-Jährigen über einen Sek-II-Abschluss verfügen sollen. Momentan wird dieses Ziel aber nur teilweise erreicht.

Zwar haben 94 Prozent der in der Schweiz geborenen Schweizerinnen und Schweizer einen Sek-II-Abschluss, aber bei Personen aus dem Ausland, die in der Schweiz leben, sieht es anders aus. Bei den im Ausland geborenen Ausländerinnen und Ausländern sind es nur 72 Prozent. Um dieses Problem anzugehen, nimmt der Kanton Genf eine Pionierrolle ein. Seit dem Schuljahr 2018/19 gilt in Genf eine Ausbildungspflicht bis zur Volljährigkeit. Es ist Minderjährigen nicht mehr erlaubt, die Schule oder die Lehre abzubrechen, ohne dass eine Anschlusslösung gefunden wird. Es wäre wünschenswert, dass andere Kantone dem Vorbild Genf folgen, oder die Ausbildungspflicht bis zur Volljährigkeit gar in der Verfassung verankert würde.

Wenn Kosten Bildung verhindern

Die Ausbildungspflicht hätte auf den zweiten Punkt Auswirkungen. Dann müsste die Unentgeltlichkeit nämlich auch für Berufsfachschulen, Fachmittelschulen und Kantonsschulen gelten. Gerade da steigen momentan die Kosten nach der Sekundarschule I stark an. So verlangt zum Beispiel der Kanton Schwyz für den Besuch des Gymnasiums jährlich 700 Franken. Dazu kommen bis zu 800 Franken für Bücher und Exkursionen plus weitere Kosten. Dies erschwert Schülerinnen und Schülern aus einkommensschwachen Haushalten den Zugang zu höherer Bildung. Die Unentgeltlichkeit müsste darum für alle Schulstufen bis und mit Sek II klar definiert und umgesetzt werden.

Teufelskreis verhindern

Der letzte Punkt («ausreichend») kann sowohl auf Dauer und Inhalte als auch auf die Qualität des Grundschulunterrichts bezogen werden. Die Sicherung der Qualität ist aber durch den vorherrschenden Personalnotstand an Schulen akut sowie chronisch gefährdet.

Wenn zunehmend nicht qualifizierte Personen angestellt werden, verschlechtert dies nicht nur die Unterrichtsqualität, sondern mindert auch das Ansehen des Berufsstands, was wiederum die Rekrutierung neuer Personen zusätzlich erschwert. Der LCH und seine Mitgliedsorganisationen setzen sich darum dafür ein, dass die Erziehungsdirektoren und die EDK die Qualität der Schulen sicherstellen und den Verfassungsartikel 19 in allen drei Punkten umsetzen.

Datum

31.05.2022

Autor
Beat A. Schwendimann

Publikation
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