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Bildungsbericht 2023: Ein riesiges Puzzle mit fehlenden Teilen

Für Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogik LCH, hat der Bildungsbericht Schweiz 2023 noch einige Lücken. In seinem Kommentar fordert er ein unabhängiges Sounding Board.

Beat Schwendimann, Leiter Pädagogik LCH. Foto: Philipp Baer

Der Bildungsbericht soll ein umfassendes Referenzwerk zu verschiedenen Aspekten des Schweizer Bildungssystems sein. Er basiert auf einer komplexen Synthese unterschiedlicher Erhebungen von Bund und Kantonen sowie Studien und externen Datenquellen. In Auftrag gegeben haben ihn die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) sowie das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).

Es ist positiv zu vermerken, dass der Bildungsbericht neu die Bildungsverläufe der Schülerinnen und Schüler durchgängig durch alle Stufen der obligatorischen Schule aufzeigt, inklusive Effekte späterer Einschulung. Auch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, Chancengerechtigkeit und digitale Transformation wurden prominent aufgearbeitet.

Allerdings lässt der Bericht aus Sicht des LCH wichtige Informationen vermissen und marginalisiert zentrale Themen. Besonders fällt auf, dass das Thema Lehrpersonenmangel nur als Nebensache erwähnt wird. Wenn ein solcher Bericht wesentliche Probleme bagatellisiert, schwächt dies den dringenden Handlungsbedarf ab und verleitet Medien dazu, irreführende Berichterstattungen zu verfassen, zum Beispiel unter dem Titel «Der Mangel an Lehrpersonen entspannt sich».

Auch Angaben zur hohen Arbeitsbelastung von Lehrpersonen und Burn-out-Quoten fehlen. Es besteht weiterhin Unkenntnis zur Zahl der un- oder nur teilqualifizierten Personen im Lehrberuf sowie zur Anzahl von Klassenassistenzen. Die bildungsökonomische Linse des Berichts darf nicht zu einer Vernachlässigung pädagogischer oder arbeitsrechtlicher Perspektiven führen.

Um in Zukunft die Qualität und den Nutzen des Bildungsberichts besser auf die Realität in den Schulen abzustützen, schlägt der LCH verschiedene Massnahmen vor. Es wäre wünschenswert, dass EDK und SBFI den Auftrag geben, die Ursachen der identifizierten Problemfelder systematisch zu untersuchen. Daraus sollten sie koordiniert Handlungen ableiten und die Wirkungsweise dieser Handlungen evaluieren. Für vertiefte Analysen und Evaluation sollten die Rohdaten verfügbar gemacht werden. Ein unabhängiges Sounding Board sollte die Weiterentwicklung des Bildungsberichts begleiten.

Insgesamt gibt der Bildungsbericht 2023 wichtige Einblicke in das Schweizer Bildungssystem, aber es bleiben auch viele wichtige Fragen unbeantwortet. Es bleibt abzuwarten, wie Kantone und Bund auf die ausgewiesenen Datenlücken reagieren werden. Das Ziel muss sein, alle für die Weiterentwicklung des Bildungssystems notwendigen Daten zu erfassen und offenzulegen, auch wenn sie politisch unangenehm sind.

Datum

15.05.2023

Autor
Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogik LCH

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