Kommentar

«Die Reform geht zu wenig weit»

Lucius Hartmann, Präsident des Vereins Schweizerischer Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer VSG, begrüsst die Neuerungen, welche das Reformprojekt «Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität» bringen soll. Aus Sicht des VSG fehlen aber wichtige Punkte. Ein Kommentar.

Lucius Hartmann sieht die Schwächen der Reform, ist jedoch auch zuversichtlich, dass jetzt noch wichtige Änderungen gemacht werden können. Foto: Marc Renauld.

Das Anerkennungsreglement für Maturen erfüllt viele Forderungen des VSG. Zu erwähnen ist etwa die Mindestdauer von vier Jahren zum Erreichen einer gymnasialen Maturität. Oder, dass die obligatorischen Fächer Informatik beziehungsweise Wirtschaft und Recht in für die Matura relevante Grundlagenfächer überführt werden. Wichtig ist dem VSG ebenso, dass Kantone und Schulen genügend Spielraum in der Umsetzung behalten. So können bewährte Lösungen beibehalten und auch neue Modelle eingeführt werden.
 
Doch dem VSG fehlen in der Version, die nun in die Vernehmlassung geht, wichtige Punkte:

  • Das Fach Philosophie und/oder Religionen sollte für alle Schülerinnen und Schüler zum obligatorischen Grundlagenfach werden.
  • Um neue Schwerpunktfächer zu ermöglichen, sollte wie beim Vorschlag zu den Ergänzungsfächern auf eine explizite und damit abschliessende Liste verzichtet werden.
  • Die Mindestdauer von vier Jahren erhöht zwar die Gleichwertigkeit, aber die Unterschiede zwischen den Kantonen bleiben beträchtlich. Im Reglement oder wenigstens im Rahmenlehrplan muss daher zwingend eine minimale Unterrichts- beziehungsweise Lernzeit pro Fach festgelegt werden. Wenn diese zudem auf mindestens 4,5 Jahre verteilt würde, könnte die Belastung der Maturandinnen und Maturanden stark reduziert werden.
  • Es fehlt ein Modell mit einem Schwerpunkt- und Ergänzungsfach sowie zwei Vertiefungsfächern, die je einen der vier Lernbereiche (Sprachen, MINT, Geistes- und Sozialwissenschaften, Kunst) abdecken.

Noch besteht die Chance, diese Punkte ins Reformprojekt aufzunehmen. Wichtig ist dies dem VSG aus mehreren Gründen: Das Gymnasium muss sich weiterhin durch eine breite Allgemeinbildung auf hohem Niveau auszeichnen. Denn es soll auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft und auf ein Hochschulstudium vorbereiten. Das bedeutet, dass Kompetenzen in allen Lernbereichen und in vielen Fächern erworben werden. Das Vermitteln von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen, wissenschaftlicher Methodik und interdisziplinärem Arbeiten ist essenziell. Auf diese Weise lässt sich der prüfungsfreie Zugang an universitäre und pädagogische Hochschulen sicherstellen. Die zusätzlichen Schritte sind zudem nötig, um Maturen wie beabsichtigt wirklich gleichwertig zu machen.

Dieser zusätzliche Effort wird sich auszahlen, davon ist der VSG überzeugt. Denn er verbessert die Chancengerechtigkeit, dient der Qualität des Gymnasiums und macht die Reform zukunftsfähiger. Oder anders ausgedrückt: Letztlich reduzieren diese Verbesserungen das Risiko, dass das Anerkennungsreglement und der Rahmenlehrplan schon bald wieder überarbeitet werden müssen.

Datum

07.06.2022

Autor
Lucius Hartmann

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