150 Jahre Volksschule

Weitere Schritte sind fällig

Vor 150 Jahren wurde die Unterrichtspflicht in der Schweiz eingeführt. So wurde das Bildungssystem dank der obligatorischen, kostenlosen Volksschule zwar gerechter, aber dennoch sieht LCH-Vizepräsident Christian Hugi dringenden Verbesserungsbedarf. Ein Meinungsbeitrag.

Christian Hugi, LCH-Vizepräsident. Foto: Philipp Baer

Die Einführung der obligatorischen, kostenlosen Volksschule war ein entscheidender Schritt hin zu einer Gesellschaft, die gerechtere Aufstiegs- und Erfolgschancen ermöglicht. Von einer umfassenden Chancengerechtigkeit ist unser Bildungssystem aber noch weit entfernt, denn noch immer gelingt zu wenigen Kindern aus sogenannt bildungsfernen Familien der soziale Aufstieg. Weitere Anstrengungen sind daher dringend geboten.

Zu wenig Kindern aus bildungsfernen Familien gelingt der soziale Aufstieg.

 

Aus meiner Sicht gibt es aktuell drei wichtige Ansatzpunkte:

1. Ausdehnung des Rechts auf Bildung

Vor allem die ersten Lebensjahre bis zum Schuleintritt haben einen grossen Einfluss auf den späteren Schulerfolg und die Chancen im Erwachsenenalter. Wenn wir die Chancengerechtigkeit verbessern wollen, muss hier angesetzt werden. Es braucht darum nicht nur in einzelnen Kantonen, sondern schweizweit mehr Engagement in diesem Bereich. Verpasste Bildungschancen kommen die Gesellschaft deutlich teurer zu stehen als eine beherzte Investition in die einzige Ressource der Schweiz, nämlich in die Bildung. Neben der Unterstützung von Familien mit kleinen Kindern gilt dasselbe aber auch für Lernende, die dem obligatorischen Schulalter entwachsen sind. Die Gesellschaft muss grösstes Interesse daran haben, dass es allen Jugendlichen gelingt, den Anschluss ins Berufsleben zu schaffen und eigenverantwortliche, mündige Bürgerinnen und Bürger zu werden.

2. Selektionsmechanismen überprüfen

Es ist richtig, dass die Diskussion über das Wann und Wie von Selektionsprozessen intensiver geführt wird. Die Bildungsforschung zeigt deutlich, dass das Schweizer Bildungssystem hier eine Baustelle hat. Es dämmt die soziale Mobilität zu stark ein. Das zeigt sich beispielhaft an den Gymnasialquoten von Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Familien. Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) stellt diesen Aspekt bei seinen internen Diskussionen deswegen in den Fokus und sucht nach geeigneten Lösungsansätzen, die zu gegebener Zeit vorgestellt werden.

3. Bildungswesen harmonisieren

Es ist ein ziemlich teurer Luxus, für eine Neun-Millionen-Bevölkerung 26 unterschiedliche Bildungssysteme zu unterhalten. Zudem ist es eine Quelle für Ungerechtigkeit, wenn jeder Kanton sein eigenes Bildungssystem mit eigenen Lektionentafeln, eigenem Selektions- und Schulsystem und einem je eigenen Polit- und Verwaltungsapparat hat. Ein Schritt in die richtige Richtung war die Einführung des Lehrplans 21. Weitere Schritte der Harmonisierung blieben seither aus. Das ist bedauerlich. Ein guter nächster Schritt wäre, nach der Harmonisierung des Lehrplans auch die Beurteilung oder die Selektionsprozesse gemeinsam zu regeln oder die Lektionentafeln zu vereinheitlichen.

 

Wie die obligatorische Schulpflicht ihren Eintrag in der Verfassung erhielt und welche Lücken die Formulierung dort hat, dazu lesen Sie mehr hier auf BILDUNGSCHWEIZ.ch.

Datum

05.02.2024

Autor
Christian Hugi

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