Standpunkte

Schweiz braucht dringend eine Strategie für die integrative Schule

Dorothee Miyoshi, Mitglied der Geschäftsleitung LCH, fordert eine hochwertige Ausbildung für Kinder mit Beeinträchtigungen. Ein UNO-Ausschuss bestärkt ihr Anliegen.

Dorothee Miyoshi ist Mitglied der Geschäftsleitung LCH. Foto: LCH/Philipp Baer

Im Jahr 2014 unterschrieb die Schweiz das internationale Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UNO-BRK). Das Übereinkommen soll Menschen mit Beeinträchtigungen die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Mitsprache an politischen Prozessen, die sie betreffen, garantieren. 

Individualbeschwerden ermöglichen

Die Vertragsstaaten – aktuell sind es 182 von insgesamt 195 Staaten  – sind verpflichtet, dem Ausschuss regelmässig Bericht über die Umsetzung der UNO-BRK zu erstatten. Der Staatenbericht der Schweiz wurde im März 2022 erstmals vom Ausschuss begutachtet. Der Ausschuss würdigt zwar die bisher geleisteten Massnahmen der Schweiz zur Förderung der Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen und zur Umsetzung des Übereinkommens. Es gab jedoch auch Kritik und entsprechende Handlungsempfehlungen an die Schweiz. So soll es Menschen mit Beeinträchtigungen ermöglicht werden, Individualbeschwerden gegen die Schweiz einzureichen. 

Keine halbherzige Pflästerli-Politik

Doch ich möchte zwei weitere Punkte beleuchten: Der Ausschuss bemängelt in seinen Bemerkungen das Fehlen einer Gesamtstrategie, welche die Umsetzung des Übereinkommens in allen Lebensbereichen regelt. Der Ausschuss empfiehlt der Schweiz, «seinen rechtlichen und politischen Rahmen für Menschen mit Behinderungen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene mit dem Übereinkommen in Einklang zu bringen (...) und eine umfassende Strategie für Menschen mit Behinderungen und einen Aktionsplan für die Umsetzung aller Rechte aus dem Übereinkommen auf allen Regierungsebenen zu verabschieden (...) ». 
Bezogen auf den konkreten Lebensbereich Bildung empfiehlt der Ausschuss, eine umfassende Strategie für die Umsetzung einer qualitativ hochwertigen Bildung für Kinder mit Behinderungen zu entwickeln.

Genau das ist es, was der LCH fordert und was die Schweiz jetzt mehr denn je braucht. In dieser Zeit des Fachkräftemangels treibt eine unkoordinierte, halbherzige Pflästerli-Politik in Bezug auf die Umsetzung der integrativen Schule das Bildungswesen in eine Notlage. Es ist also absolut lohnenswert, dass Bildungspolitik, Bildungsverwaltung, Pädagogische Hochschulen und Forschung sowie kantonale und nationale Lehrpersonenverbände ihr vielfältiges Knowhow zusammenführen. So können sie gemeinsam eine kluge und erfolgsversprechende Strategie definieren. Unterdessen wurde auch hierzulande umfassend erforscht, was es für eine erfolgreiche Umsetzung der integrativen Schule benötigt. 

Profis für integrative Pädagogik gesucht

In einem weiteren Punkt stellt der Ausschuss fest, dass in den Regelschulen Ressourcen zur Unterstützung der integrativen Bildung fehlen. Zudem herrsche ein Mangel an Lehrkräften mit speziellen Qualifikationen für integrative Pädagogik. 

Der UNO-BRK-Ausschuss bekräftigt somit langjährige Forderungen des LCH, des SER und der kantonalen Lehrpersonenverbände. Vielleicht hilft diese Unterstützung von unabhängiger und kompetenter Stelle für ein Verständnis dieser Anliegen? 

Der «Standpunkt» ist eine monatliche Kolumne der Geschäftsleitungsmitglieder des LCH. Die Aussagen geben die persönliche Meinung der einzelnen Autorinnen und Autoren wieder.

Datum

03.01.2023

Autor
Dorothee Miyoshi

Publikation
Standpunkte