Kommentar

Polemik um Neutralität schadet

Aus Angst, am Pranger zu landen, meiden viele Lehrerinnen und Lehrer politische Bildung. Dabei wäre Demokratieerziehung dringend nötig. Ein Kommentar von Sandra Locher Benguerel, Geschäftsleitungsmitglied LCH.

Sandra Locher Benguerel, Mitglied der Geschäftsleitung LCH und bis im November SP-Nationalrätin. Foto: LCH/Philipp Baer

Was bedeutet politische Bildung? Wie gehen Schulen mit politischem Aktivismus um? Welche Konzepte braucht es, um Demokratiekompetenz zu vermitteln? Diese Fragen werden kontrovers diskutiert.

Dabei gehört politische Bildung zum Bildungsauftrag. Gemäss einer vom Bundesamt für Sozialversicherungen 2022 publizierten Befragung zur politischen Partizipation wünschen sich Jugendliche erfreulicherweise mehr Wissen über politische Zusammenhänge. Drei Viertel von ihnen könnten sich gar ein politisches Engagement vorstellen.

Die Schulen legen den Grundstein, damit Kinder und Jugendliche ihre Rechte und Pflichten kennen und die Gesellschaft politisch mitgestalten können. Doch um zu verstehen, wie Demokratie funktioniert, müssen die Schülerinnen und Schüler lernen, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Sie müssen mit Meinungsvielfalt umgehen, Positionen aushandeln und eine eigene Haltung entwickeln können. Dadurch üben sie sich auch in kritischem Denken, eine der Schlüsselkompetenzen unserer Zeit.

Lehrpersonen sind sich der Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen bewusst. Sie schaffen Lernarrangements, in denen Schülerinnen und Schüler Kompetenzen für eine Beteiligung am politischen Diskurs entwickeln können. Dazu gehört auch, dass Lehrerinnen und Lehrer die eigene Meinung klar als solche deklarieren. Dies aber ohne für sie zu werben oder damit überzeugen zu wollen.

Pauschale Vorwürfe gegen Lehrpersonen sind alles andere als zielführend.

 

Seit bald 20 Jahren habe ich neben meiner Unterrichtstätigkeit ein politisches Amt inne. Meine Erfahrungen kann ich vielfältig in meinen Alltag als Pädagogin einfliessen lassen: beispielsweise als Expertin in unserem Schulhausparlament oder in meinem Klassenzimmer beim Erklären des Föderalismus anhand von Abstimmungsvorlagen, die auch Schülerinnen und Schüler betreffen.

Polemik rund um die Neutralität der Schulen, pauschale Vorwürfe gegenüber Lehrpersonen oder das in der Waadt ausgesprochene Verbot politischer Debatten an Schulen sind alles andere als zielführend. Sie bewirken nämlich genau das Gegenteil und führen dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer verunsichert sind. Ja etliche meiden politische Bildung gar, aus Angst davor, an den Pranger gestellt zu werden.

Doch angesichts der Polarisierung unserer Gesellschaft sind Demokratieerziehung und kritisches Denken wichtiger denn je! Darum sollten wir die Debatte rund um die politische Bildung mit Dialogbereitschaft, Respekt und Toleranz führen. Damit können wir die Werte vorleben, die wir den Schülerinnen und Schülern in der Demokratieerziehung auf den Weg geben. Genau so ist es unserer Demokratie würdig.

Datum

03.10.2023

Autor
Sandra Locher Benguerel

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