Standpunkte

Warum verlassen manche Lehrpersonen den Beruf, während andere bleiben?

Der Lehrkräftemangel stellt Schulen vor grosse Herausforderungen. Fakten sind nötig, um dem Problem auf den Grund zu gehen. Wichtig sei besonders die Klärung einer Frage, schreibt Sandra Locher Benguerel in ihrer Kolumne: Was sind die Gründe, warum Lehrpersonen die Schule verlassen oder ihrem Beruf treu bleiben? 

Sandra Locher Benguerel ist Mitglied der Geschäftsleitung LCH und Nationalrätin. Foto: LCH/Philipp Baer

Seit Wochen wird öffentlich darüber debattiert, welche Gründe hinter dem Lehrpersonenmangel stecken. So manche Spekulation löste bei mir Kopfschütteln aus. Deshalb machte ich mich auf die Suche nach Fakten. Ich bin überzeugt, dass diese für eine Versachlichung der Diskussion unabdingbar sind. Nur damit werden wir unserem Berufsstand gerecht und können künftig gezielt Massnahmen gegen den Lehrpersonenmangel ergreifen.

Nachfrage grösser als das Angebot

Genau zum richtigen Zeitpunkt publizierte das Bundesamt für Statistik diesen Herbst mehrere Studien, in denen ich Antworten fand. Besonders aufschlussreich sind die Szenarien, welche die Entwicklung der obligatorischen Schule im Verlauf der nächsten zehn Jahre zeigen. Ersichtlich ist darin, dass die Anzahl der Schülerinnen und Schüler auf der Primarstufe um acht Prozent und auf der Sekundarstufe I um elf Prozent steigen wird. Gleichzeitig nimmt der Bedarf an zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrern um sechs Prozent zu. Konkret hat dies zur Folge, dass bis im Jahr 2031 auf der Primarstufe insgesamt zusätzlich
45 000 und auf der Sekundarstufe I 26 000 Lehrpersonen rekrutiert werden müssen. Ein Teil davon kann mit dem prognostizierten Anstieg der Lehrdiplome abgefedert werden. Trotzdem bleibt eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage.

Schieflage bekämpfen

Ebenfalls aufschlussreich sind die Daten zum Verbleib der Lehrkräfte im Beruf. Auf den ersten Blick erscheinen diese sehr positiv. Sie zeigen, dass innert fünf Jahren – gemessen zwischen 2015 und 2020 – 90 Prozent der unter 55-jährigen Lehrkräfte ihrem Beruf treu geblieben sind. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf: Lehrerinnen und Lehrer unter 35 Jahren verlassen den Beruf deutlich häufiger.

Noch deutlicher ist es bei den über 55-Jährigen: Dort sind es gar über die Hälfte, die der Schule den Rücken kehren.  Damit das System nicht noch weiter in Schieflage gerät, muss alles getan werden, um die jetzigen Lehrerinnen und Lehrer im Beruf zu halten.

Dazu braucht es die fundierte Klärung einer weiteren Frage, zu der ich in den Statistiken keine Antwort gefunden habe: Was sind die Gründe, weshalb Lehrerinnen und Lehrer den Beruf verlassen oder im Beruf bleiben? Gerade der Blick auf das Positive scheint mir wichtig. So wissen wir, welche Faktoren den Beruf attraktiv machen. Daraus können wir Lösungen ableiten, wie wir Lehrerinnen und Lehrer langfristig an den Schulen halten können. Zudem soll ein besonderer Fokus auf die Jahre nach dem Berufseinstieg gelegt werden.

Auf die Zukunft gerichtet bin ich überzeugt, dass wir Antworten auf diese Fragen brauchen, damit wir wissen, welche berufsspezifischen Massnahmen wir ergreifen sollten, um pädagogische Fachpersonen im Beruf zu halten. Deshalb freue ich mich darüber, dass die Bildungskommission des Nationalrats vor wenigen Tagen meinen Antrag unterstützte. Darin wird der Bundesrat beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen und den Pädagogischen Hochschulen diese Frage wissenschaftlich in einem Bericht zu klären.

Mix statt einfaches Rezept

Klar ist, dass bereits im laufenden Schuljahr auf allen Ebenen Ausserordentliches geleistet wird, um die Bildungsqualität für unsere Schülerinnen und Schüler hochzuhalten. Ebenso klar ist auch, dass uns das Thema des Fachkräftemangels an unseren Schulen durchs nächste Jahrzehnt begleiten wird. Damit wir nächsten Sommer nicht am selben Punkt stehen, sollten wir möglichst zielgerichtete Massnahmen ergreifen. Dazu wird es keine einfachen Rezepte geben, sondern einen Mix aus verschiedenen Instrumenten. Ob wir künftig eine verbesserte Datenlage als Grundlage für langfristige Lösungen haben, darüber kann der Nationalrat in ein paar Wochen befinden.

Der «Standpunkt» ist eine monatliche Kolumne der Geschäftsleitungsmitglieder des LCH. Die Aussagen geben die persönliche Meinung der einzelnen Autorinnen und Autoren wieder.

Datum

31.10.2022

Autor
Sandra Locher Benguerel

Publikation
Standpunkte