Kommentar

Wer ausbildet, braucht eine solide Ausbildung

Die Anforderungen an Berufsbildnerinnen und Berufsbildner sind gestiegen. Im Kontrast dazu steht die Kurzausbildung, die sie absolvieren müssen. Sie ist nicht mehr zeitgemäss.

LCH-Präsidentin Dagmar Rösler. Foto: Gion Pfander

Das duale Berufsbildungssystem wird oft als Erfolgsmodell gelobt. Es sei ein unverzichtbarer Pfeiler der Schweizer Wirtschaft und biete eine gute Grundlage für die berufliche Zukunft der Jugendlichen. Das sind mehr als Floskeln. Nicht umsonst geniesst die Berufsbildung einen hohen Stellenwert. Rund 60 Prozent der Jugendlichen absolvieren eine duale Ausbildung – so viele wie in keinem anderen Land Europas.

Die neue Studie von Workmed zur psychischen Gesundheit von Lernenden in der Berufslehre bringt aber – nebst vielen positiven Befunden – auch Schwachstellen ans Licht. So erhielt etwa die Aussage, dass «Probleme offen angesprochen werden», bei den befragten Jugendlichen die geringste Zustimmung. Aspekte wie Arbeitsklima und Beziehung im Betrieb werden zwar überwiegend positiv erlebt, dennoch fühlen sich viele der Befragten zu wenig gut aufgehoben, wenn es um schwierige Themen geht. Solche sprechen sie lieber nicht an.

Die meisten wenden sich bei psychischen Problemen an Freunde oder die Familie. Bei 78 Prozent fand weder ein Gespräch im Lehrbetrieb noch in der Berufsfachschule statt. Hier wären auf solche Situationen vorbereitete Berufsbildnerinnen und Berufsbildner wichtig. In den bloss 40-stündigen Kursen erhalten sie jedoch nicht das nötige Rüstzeug dazu.

Heute braucht es erweiterte Kompetenzen in Lernbegleitung und Lerncoaching.

 

Eine weitere Studie zum Thema von Anna Keller und Antje Barabasch zeigt immerhin, dass Eigenverantwortung, Teamarbeit, individualisierte Lernlaufbahnen oder der Aufbau transversaler Kompetenzen in der beruflichen Grundbildung bereits stärker gefördert werden. Die empirischen Ergebnisse verdeutlichen, dass dies höhere Anforderungen an Berufsbildnerinnen und -bildner stellt.

Heute braucht es erweiterte Kompetenzen in Lernbegleitung und Lerncoaching. Dazu gehören eine ausgeprägte Feedbackkultur, die Fähigkeit, individualisierte Lernwege aktiv zu gestalten, sowie Kenntnisse in Talententwicklung, Selbstregulationsförderung und Coaching. Die Autorinnen der Studie «Handlungsperspektiven für die Aus- und Weiterbildung von betrieblichem Bildungspersonal» bezeichnen diese Fähigkeiten als zentral.

Es geht um junge Menschen, die ihren Weg ins Berufsleben finden wollen.

 

Damit wird klar: Wer von der Berufsbildung als Erfolgsmodell spricht, darf die Ausbildung der Ausbildenden nicht vernachlässigen. Betriebe und Politik sind gefordert, Berufsbildnerinnen und Berufsbildner konsequent für diese erweiterten Aufgaben zu qualifizieren. Denn nur so lässt sich sicherstellen, dass die duale Berufsbildung neben der fachlichen auch die menschliche Dimension abdeckt. Es geht um mehr als Arbeitskräfte – es geht um junge Menschen, die ihren Weg ins Berufsleben finden wollen. Auf diesem Weg müssen sie entschlossen und verantwortungsvoll begleitet werden. Sollen Berufsbildnerinnen und Berufsbildner ihre zentrale Rolle dabei erfüllen, brauchen sie eine fundiertere Ausbildung. 

Der «Standpunkt» ist eine Kolumne der Geschäftsleitungsmitglieder des LCH. Die Aussagen geben die persönliche Meinung der einzelnen Autorinnen und Autoren wieder.

Datum

09.10.2025

Autor
Dagmar Rösler

Publikation
Standpunkte

Themen