Das Schuljahr 2021/22 ist noch in vollem Gang, doch schon jetzt blicken Bildungsverantwortliche schweizweit mit Sorge auf den nächsten Schulstart. Überall mangelt es an qualifizierten Lehrpersonen. Im Kanton Zürich leitet die Bildungsdirektion nun eine Reihe von Massnahmen ein – kurzfristig sogar ziemlich drastische.
Im kommenden Schuljahr erwartet die Bildungsdirektion rund 2500 Schülerinnen und Schüler mehr als im laufenden Schuljahr, schreibt sie in einer Mitteilung vom 13. April. Darum sollen Schulgemeinden im Kanton Zürich nun auch Personen für den Unterricht anstellen können, die nicht über eine Ausbildung als Lehrerin oder Lehrer verfügen. Diese Anstellungen seien auf ein Jahr befristet und sollen den Gemeinden mehr Flexibilität ermöglichen.
Lösung zu Lasten der Qualität
Die Berufsverbände sind ob der angespannten Situation wenig überrascht. Der notfallmässigen Massnahme stehen sie jedoch skeptisch gegenüber. «Es ist eine Verzweiflungstat», sagt Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Es sei ein Eingeständnis, dass der Kanton es verpasst habe, rechtzeitig nachhaltige Lösungen einzuleiten. Klare Worte wählt auch Franziska Peterhans, Zentralsekretärin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH): «Diese Massnahme erachte ich als hochproblematisch», sagt sie. «Das einzig Gute daran ist die zeitliche Begrenzung.»
Peterhans und Hugi sorgen sich um die Qualität der Volksschule. Der Unterricht von Schülerinnen und Schülern sei eine komplexe Aufgabe, die einer gründlichen Ausbildung bedürfe. Wo diese fehle, müssten erfahrene Lehrpersonen zur Unterstützung beigezogen werden. Dies legt für Peterhans den Schwachpunkt der Zürcher Massnahme offen: «Je mehr Personen ohne Ausbildung unterrichten, desto grösser ist die Belastung für das Team.» Was als Entlastung gedacht ist, könnte somit ins Gegenteil ausarten. «Und letztendlich sind es die Kinder, die um guten Unterricht betrogen werden», betont Peterhans.
Versäumnis der Politik
In den vergangenen Jahren haben Berufsverbände wiederholt auf das Problem hingewiesen, nun sei die Zeit für kurzfristige Lösungen verstrichen. «Die Schulen baden jetzt aus, was die Politik lange versäumt hat», sagt Peterhans. Es brauche zwingend langfristige, nachhaltige Lösungen.
Tatsächlich plant die Bildungsdirektion Zürich nun neben der kurzfristigen Lockerung der Anstellungskriterien auch mittel- und langfristige Massnahmen. So würden zum Beispiel weitere Ausbildungsplätze geschaffen. Ausserdem werde die «Taskforce Lehrermangel» weitergeführt. Diese besteht seit 2008 und setzt sich aus Fachpersonen aus dem Bildungsbereich zusammen, die sich über möglichen Lösungen austauschen. Die Bildungsdirektion räumt auf Anfrage jedoch ein, dass die Gestaltungsmöglichkeiten der Taskforce beschränkt seien. Der Lehrermangel sei ein Teil des allgemeinen Fachkräftemangels.
Das reicht Hugi nicht. Er fordert bessere Anstellungsbedingungen. «Die Bildungsdirektion vermeidet es, den Lehrpersonenmangel mit dem Berufsbild in Verbindung zu bringen», kritisiert er. Doch nur dort könne man das Problem nachhaltig lösen. Überzeit sei zum Beispiel ein grosses Problem. Im Schnitt sammelten sich bei einem Vollzeitpensum pro Jahr acht Wochen Überzeit an, die nicht vergütet würden.
Lage bleibt angespannt
Sorge bereitet den Verbänden nicht nur der Lehrermangel, sondern auch die anhaltende Belastung durch die Coronapandemie und die zusätzliche Herausforderung durch Flüchtlingskinder aus der Ukraine.
In ihrer Mitteilung betont die Bildungsdirektion, dass die Besetzung offener Stellen selbst mit den zusätzlichen Massnahmen anspruchsvoll bleibe. Auch die Berufsverbände erwarten angesichts der angespannten Lage keine Wunder. «Qualifizierte Lehrpersonen kann man nicht aus dem Boden stampfen», betont Peterhans. Der Beruf müsse langfristig wieder attraktiver werden – und zwar schweizweit.