KOMMENTAR

Zurück zur Separation ist illusorisch

Es ist höchste Zeit, dass die Bildungsverantwortlichen die Stärkung der integrativen Schule initiieren. Ein Kommentar von Dorothee Miyoshi, Mitglied der LCH-Geschäftsleitung.

Dorothee Miyoshi, Geschäftsleitungsmitglied des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Foto: Philipp Baer

Vor rund zwei Jahrzehnten startete der Prozess zur Umsetzung der integrativen Schule. Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) unterstützte diese tiefgreifende Reform, aber nur unter dem Vorbehalt, dass die notwendigen Rahmenbedingungen vorhanden sind.

Leider fehlt es auch 20 Jahre später immer noch massiv an (ausgebildetem) Personal, Zeit, Strukturen und geeigneten Räumlichkeiten. Immer stärker wirkt sich zudem aus, dass weitgehend die alten Strukturen der Regelschule beibehalten worden sind. Der systemisch angelegte Widerspruch zwischen Segregation und Konkurrenzorientierung, individueller Förderung und Integration belastet sowohl Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrpersonen.

Es ist zwar verständlich, dass in dieser Situation Rufe nach dem scheinbar Altbewährten laut werden. Ja, es braucht nun auch wirklich entscheidende Bewegung für eine erfolgreiche Umsetzung! Alte Strukturen können nicht die Lösung für die Schule von heute sein. Die verschiedentlich aufkommenden Forderungen nach Wiedereinführung von Förderklassen suggerieren fälschlicherweise, dass der Unterricht dann wieder «in geregelten Bahnen» verlaufen könne.

«Die integrative Schule ist kein ‹nice to have›, sondern eine gesetzliche Vorgabe.»

 

In wenigen Einzelfällen kann eine Förderklasse, in anderen Kantonen auch Kleinklasse oder Klasse zur besonderen Förderung genannt, notwendig und richtig sein. Doch dies als einzige Kurskorrektur vorzunehmen, vermag den Ansprüchen an die heutige Schule nicht zu genügen. Das wäre eine Illusion. Die Diversität in unserer Gesellschaft und somit an den Schulen ist und bleibt hoch.

Wir tun gut daran, Profis im Umgang mit Vielfalt zu werden und unsere engen Strukturen so weiterzuentwickeln, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler darin gefördert und gefordert, begleitet und gebildet werden können. Deshalb trägt das Positionspapier des LCH zum Thema den Titel «Vielfalt braucht Vielfalt».

Die integrative Schule ist kein «nice to have», sondern eine gesetzliche Vorgabe, soweit dies in der konkreten Situation zumutbar ist. Es ist zudem wissenschaftlich erwiesen, dass sie bei sorgfältiger Umsetzung die Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern nicht schmälert, sondern sogar fördert. Inzwischen haben wir genügend Erfahrungen gesammelt und an unseren Schulen gibt es viele gute Beispiele, wie die in BILDUNG SCHWEIZ porträtierte Schule Rotkreuz.

Alle Bildungsakteure sind nun endgültig dazu aufgefordert, sich ernsthaft damit zu befassen, was die Schulen in ihrer integrativen Tragfähigkeit stärkt, und dies dann zielstrebig zu realisieren. Erlaubt sei hier noch ein Gedanke: Momentan leistet die Schule wohl den grössten Beitrag zur Integration innerhalb unserer vielseitigen Gesellschaft. Es wäre schön, wenn Wirtschaft, Gesellschaft und Bildung diesen Weg endlich gemeinsam gehen würden.

Der «Standpunkt» ist eine monatliche Kolumne der Geschäftsleitungsmitglieder des LCH. Die Aussagen geben die persönliche Meinung der einzelnen Autorinnen und Autoren wieder.

Weiter im Netz

LCH-Positionspapier «Vielfalt braucht Vielfalt» zur integrativen beziehungsweise inklusiven Schule – bit.ly/3WlGVMx

Datum

01.07.2024

Autor
Dorothee Miyoshi

Publikation
Standpunkte

Themen